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Leseprobe 3
Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz
WAS MACHT DAS ZEUGNIS DES ZEUGEN AUS?
Gedanken zum Martyrium von Georg Häfner
Es mag müßig erscheinen, den bereits dargelegten Würdigungen von Georg Häfner und den bekannten Daten noch etwas hinzuzufügen. Die jetzige Überlegung betrifft auch nicht die Biographie, die als solche vorausgesetzt ist, auch nicht die Auslegung der 16 Briefe aus Dachau, die ebenfalls schon geschehen ist. Vielmehr geht es darum, den Begriff des Martyriums zu beleuchten und ihn an Georg Häfner, an der Gestalt des Zeugen, martyr, zu verlebendigen. Benedikt XVI. regte kürzlich an, die Theologie wieder mehr durch Philosophie zu stützen und damit in heutige Auseinandersetzungen argumentativ zurückzubringen. Dies sei nunmehr versucht anhand von drei Philosophen, die sich zum Thema «Zeugnis» geäußert haben, wobei zwei von ihnen «ungläubig» sind (setzen wir dies in Anführungszeichen), jedenfalls kirchenfern, jedoch nicht christentumsfern – wenn man Christentum als Quelle für unerhörte und kulturprägende Texte versteht. Vielleicht geht von diesem ungewohnten Blick auch ein ungewohntes Sehen des Bekannten aus.

1. Homo sacer: der Verworfene

Mit der Tetralogie Homo sacer von 1995 legte Giorgio Agamben, Professor für Philosophie in Venedig und nach eigenem Bekunden Agnostiker, eine radikalisierte Kulturkritik vor. Ausgangspunkt des Gedankens war ein merkwürdiger Satz des altrömischen Rechts, der die Rechtlosigkeit eines Missetäters dadurch unterstreicht, dass er vogelfrei von jedermann straflos getötet werden darf, aber nicht mehr geopfert werden kann. Homo sacer ist jener lebende Tote, rechtlos und würdelos schlechthin, der im Blick der römischen Religiosität für die Götter bereits «reserviert» ist und von jeder Zugehörigkeit, jeder Zwecksetzung im Menschlichen ausgeschlossen bleibt. Er ist Nicht-Mensch. Agamben versetzt ihn kulturkritisch in die modernen totalitären Regime: homo sacer ist der Prototyp der «Muselmänner» in den Konzentrationslagern, die – auch in ihren eigenen Augen – den Müll noch unterhalb der sonstigen Ausgestoßenen vorstellten. Durch ihr bloßes Dasein überführen die homines sacri, die man straflos ignorieren darf, das Rechtssystem der Ungerechtigkeit. Trotz aller Absicherungen fallen solche Unpersonen durch das juristische und soziale Netz, da es keine Maschengröße für sie kennt. Insofern sind sie verstörender Index einer Ungerechtigkeit mitten im durchdifferenzierten, für alle Eventualitäten abgesicherten Kokon der Gesellschaft. Summum ius summa iniuria. Der Vogelfreie ist die offene, allerdings gut verhehlte Wunde im ansonsten allseitig immunen System.

In eben dieser Hinsicht war Georg Häfner ein homo sacer: vom damaligen Rechtssystem nicht mehr geschützt, vielmehr zur Unperson erklärt und der absichtlichen Vernichtung überliefert. Gibt es dazu eine biblische Parallele – ja mehr als das: einen biblischen Protest, der zu einer Kritik des Rechts führt, es sogar umstürzt? Mit dieser Frage betreten wir ein Terrain, auf dem solche Schicksale Geschichte machen, Geschichte verändern. Agamben greift nämlich einen Ausgestoßenen heraus, mit dessen Ausstoßung ein neues Verhältnis zum Recht und der darauf gründenden Herrschaft begann. Denn jener Ausgestoßene schlechthin ist der Mann, an dem rückblickend das Gesetz (thora) seines Volkes zerbrach, wie es Paulus im Römerbrief 10, 4 formuliert: «Christus ist das Ende des Gesetzes.»

Dieser bestürzende Satz gipfelt darin, dass der Eckstein, den die Bauleute verworfen haben (1 Kor 4, 13), nicht allein das Ende des Gesetzes offenlegt, sondern umgekehrt ein neues, anderes einleitet. Diese Konzeption arbeitet Agamben in einem philologisch genauen und mitreißenden Kommentar zum Römerbrief aus. Die Aussparung zwischen Jesu Tod und seiner Wiederkehr wird messianisch gespannte Zeit, in der das Dominium dieser Welt nach außen hin zwar steht, für alle Zukunft aber schon gefallen ist. Agamben liest Paulus als den ersten großen Theoretiker der unterhöhlten Zeit. Denn die verbleibende Zeit führt zu einem «als ob nicht», hos me im griechischen Urtext. «Die Zeit ist kurz; damit fortan auch die, welche Frauen haben, so seien, als hätten sie keine, und die Weinenden, als weinten sie nicht, und die Fröhlichen, als freuten sie sich nicht, und die Kaufenden, als behielten sie nicht, und die die Welt benützen, als nützten sie sie nicht, denn die Gestalt dieser Welt vergeht.» (1 Kor 7, 29-31) [...]


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