archivierte Ausgabe 4/2014 |
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Herausgeber und Redaktion |
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JOACHIM HAKE Direktor der Katholische Akademie in Berlin e.V. |
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URSULA SCHUMACHER
Professorin für Dogmatik an der Universität Luzern |
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JAN-HEINER TÜCK Professor für dog-
matische Theologie, Universität Wien |
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Herausgeber und Redaktionsbeirat stellen sich vor. |
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Lesermeinung von |
Anton Svoboda,
Dipl.-Theologe, Musiker
Lesen Sie hier |
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Thomas Söding |
«HUNDE, WOLLT IHR EWIG LEBEN?» |
Eine Diskussion über Jesus und die Kyniker |
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Nach dem Markus- und dem Matthäusevangelium kommt Jesus auf seinen Wanderungen auch in das Gebiet von Tyros und Sidon, schon damals nicht mehr in Israel gelegen, sondern im Libanon. Dort spielt eine denkwürdige Geschichte (Mk 7, 24–30). Wenn sie nicht wahr ist, ist sie gut erfunden. Die Hauptperson ist eine Frau, eine Griechin, eine Heidin, eine Syrophönizierin, also eine Ureinwohnerin des Landes, vor allem aber: eine Mutter. Jesus will lieber incognito bleiben; aber sie dringt zu ihm vor, weil sie von einem einzigen Wunsch beseelt ist: dass er ihre kranke, besessene Tochter heilt. Jesus aber lässt sie abblitzen: «Lass zuerst die Kinder sattwerden, denn es ist nicht gut, den Kindern das Brot zu nehmen und es den Hunden vorzuwerfen» (Mk 7, 27). Unsympathischer kommt Jesus selten rüber. Der Kinderfreund fährt seine Stacheln aus. Was er ins Bild setzt, ist klar – bei Matthäus wird es explizit: «Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt» (Mt 15, 24). Die «Kinder» sind die Juden, die «Hunde» sind die Heiden. Die Kommentare zitieren eine ganze Liste von Parallelen, die keinen Zweifel lassen, wie unmissverständlich und unverschämt der Spruch ist. Jesus will nicht, dass das Evangelium vor die Hunde geht. Aber die Frau gibt nicht klein bei. Sie schlägt Jesus mit seinen eigenen Waff en: «Herr, auch die Hunde unter den Tischen essen von den Brocken der Kinder» (Mk 7, 28). Ist das ein Widerspruch zu Jesus? Er hat ja Recht: Man soll nicht Kinder hungern lassen, um Hunde zu füttern. Kindernahrung für Hunde ist so pervers wie Hundenahrung für Kinder. Aber die Frau denkt weiter: Wenn Brot in Hülle und Fülle da ist, fällt vom Tisch der Kinder auch etwas für die Hunde ab. Das ist ein hochtheologisches Argument: Gott schenkt im Überfl uss; wie die Freude wird auch die Gnade durch Teilen nicht kleiner, sondern größer. Von diesem Bild hat Jesus sich beeindrucken lassen (Mk 7, 29). Nach Matthäus sagt er sogar: «Frau, dein Glaube ist groß! Was du willst, wird geschehen » (Mt 15, 28).
Beim einzigen Streitgespräch, das Jesus verloren hat, haben alle gewonnen. Die Hunde unter dem Tisch zeigen, wo Jesus steht und wohin er geht. Kinder sind Kinder, und Hunde sind Hunde. Aber das Evangelium würde gerade dann vor die Hunde gehen, wenn es nicht auch für sie ein Fressen wäre. Es wäre zynisch gewesen, hätte Jesus seine Treue zu Israel gegen die Frau und ihre Tochter, gegen die Heiden gerichtet. Jenseits des Zynismus findet Jesus seinen Weg.
Dass jemand ein «Hund» sei, ist im Bajuwarischen ein Kompliment, dessen Größe hellhörig macht, im Westdeutschen eine Beleidigung, deren Schwere aufhorchen lässt. Die These, Jesus sei ein «Hund», die Bernhard Lang in seinem interessanten Buch aufgestellt hat, schärft das Gehör für Zwischentöne der neutestamentlichen und apokryphen Jesustradition, öff - net die Ohren für die Musik, die außerhalb Palästinas spielt, lässt aber auch auf die Melodie Jesu lauschen. Das Evangelium hat einen unverwechselbaren sound. Er kann sich nur in einem Resonanzraum entwickeln, der Polyphonie fördert und Misstöne nicht verschluckt; er muss vor Hintergrundgeräuschen abgeschirmt werden; er braucht den einen oder anderen Verstärker, um in den Rhythmen und Arrangements anderer Klangwelten hörbar zu werden. Wird durch die Charakterisierung Jesu als Kyniker die Akustik verbessert oder gestört?
Jesus ist keine Kopie, sondern ein Original
Religionsgeschichtliche Vergleiche sind dem Neuen Testament nicht fremd. Im Volk wird den Synoptikern zufolge überlegt, ob Jesus ein zweiter Johannes der Täufer sei, der wiedergekommene Elija oder einer der Propheten (Mk 6, 14ff parr.; 8, 27f parr.). Alles ist gut gemeint, aber nicht gut. Die Antwort, die Petrus gibt: «Du bist der Christus!» (Mk 8, 29 parr.), ist zwar theologisch korrekt, bewahrt ihn aber nicht davor, Jesus in den Weg zu treten, da er den Weg des Leidens gehen will (Mk 8, 30–33).
Nach den Evangelien besteht die Pointe der Christologie nicht darin, dass man einmal ins Schwarze getroffen hat und dann alles erledigt ist, sondern darin, dass Spannungsbögen zwischen den Erwartungen und den Realitäten, den Ansichten und den Urteilen, den Fragen und den Antworten aufgebaut werden, die jede Sicherheit verunsichern, aber auch jede Skepsis mit Skepsis versehen, damit die Sonde des Zweifels tiefer reicht und die Fackel des Glaubens weiter leuchtet. Einerseits wäre Jesus ein Wesen von einem anderen Stern, gäbe es keine Anknüpfungspunkte, eine Beziehung zu ihm aufzubauen, keine Muster, ihn einzuordnen, keine Vorverständnisse, ihn zu erkennen. Andererseits ist Jesus ein Mensch, der in kein Schema passt. Der Grund besteht nicht schon darin, dass sich schlechterdings kein Mensch in ein Schema pressen lässt. Er besteht in seinem Evangelium. Nach dem Neuen Testament verkündet Jesus die Nähe der Gottesherrschaft als Heil für die Menschen (Mk 1, 15). Man muss ihm das Evangelium glauben; er kann nur mit dem ganzen Einsatz seiner Person für diese Gute Nachricht Zeugnis ablegen. Weil das, was er zu sagen hat, so unerhört gut ist, ist er ein Original, keine Kopie – und umgekehrt. [...]
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