archivierte Ausgabe 5/2015 |
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Herausgeber und Redaktion |
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JOACHIM HAKE Direktor der Katholische Akademie in Berlin e.V. |
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URSULA SCHUMACHER
Professorin für Dogmatik an der Universität Luzern |
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JAN-HEINER TÜCK Professor für dog-
matische Theologie, Universität Wien |
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Herausgeber und Redaktionsbeirat stellen sich vor. |
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Lesermeinung von |
Anton Svoboda,
Dipl.-Theologe, Musiker
Lesen Sie hier |
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Leseprobe 2 |
DOI: 10.14623/com.2015.5.514–526 |
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Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz |
CHRISTLICHE VERSUS NEUPLATONISCHE MYSTIK |
Dionysius Areopagita in der Deutung Edith Steins |
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1. Zur Methodik der Mystik-Forschung
Perennialismus: Mystik als subjektive, interkulturell gleichbleibende Erfahrung
Im Anschluss an den bekannten Mystik-Forscher Alois M. Haas lassen sich zwei große methodische Ansätze der Mystik-Forschung unterscheiden: der perennialistische und der kontextualistische Ansatz. Perennialismus – abgeleitet von perennis = die Zeit übergreifend – setzt voraus, Erfahrungen von Mystikern quer durch Zeiten und Kulturen seien unmittelbar auf einen gemeinsamen Inhalt bezogen und von dorther vergleichbar, aufgrund «einer transkulturellen, homogenen, mit einer kleinen Anzahl von Kernbestimmungen ausgestatteten transzendenten Erfahrung». Begründbar sei dies durch Ergebnisse der empirischen Psychologie, ohne die Notwendigkeit philologischer und historischer Forschung. Messbar sind etwa Gehirnströme während einer Ekstase oder während einer Versunkenheit in Meditation; solche Messungen ergeben Muster (Alpha-, Beta-, Gamma- und Thetawellen), die den Gehirnströmen im Tiefschlaf ähneln, aber nicht einfach mit ihnen übereinstimmen.
Bei dieser methodischen Erfassung ist einzig das Subjekt der Erfahrung betrachtet, das «Objekt» bleibt jedoch außerhalb der Analyse. Als Vordenker dieser Richtung kann Karl Jaspers gelten, der die mystische Erfahrung als nicht objektivierbar betrachtete: «Daher ist alles Mystische nie als Inhalt, sondern nur als Erlebnis, d. h. subjektiv und ohne den eigentlichen, nur im Erlebnis greifbaren Sinn rational zu bestimmen.» Solcherart «Erlebnis»-Theorie führt zu der Behauptung, Mystik sei zeitübergreifend als Verschmelzung des Erlebenden mit seinem Erlebnis zu bestimmen, also nur von der Psychologie des Betroffenen her greifbar oder wissenschaftlich zugänglich.
Unterschiede in der Beschreibung dieser Verschmelzung gelten in der Perennialismus-Theorie als spätere Hinzufügungen: entweder vom Erlebenden selbst im Rahmen seiner Kultur oder von dieser Kultur oder den Zweit-Interpreten selbst. Das eigentliche seelische Geschehen werde damit aber «überschrieben» und sei aus dieser «Übersetzung» erst zu rekonstruieren.
Kontextualismus: Mystik als objektivierbare Erfahrung in einem kulturellen Hintergrundsystem
Umgekehrt lautet die These des Kontextualismus, mystische Erfahrung sei keineswegs immer derselbe Verschmelzungsvorgang innerpsychischer Art, sondern sei bedingt durch die Person und ihr kulturelles Umfeld. «Das kontextualistische Paradigma hält grundsätzlich alle Erfahrungen – religiöse, säkulare, künstlerische, also auch mystische – für das Ergebnis einer durch Begriffe, Kategorien, Glaubenshaltungen und linguistische Hintergründe geformten, gestalteten, vermittelten und konstruierten Kultur, welche das Subjekt an sie heranträgt.» Oder: «Ohne kontextuelle Einordnung lässt sich über Erfahrungen – und mögen sie sich auf Erfahrungen des absoluten Nichts im Sinn zen-buddhistischer Meditationspraktiken beziehen – überhaupt nicht reden.» Erfahren ist von der Deutung des Erfahrenen nicht zu trennen; es gibt keine vorsprachliche, vorkulturelle, vorreflexe Mystik, gleichsam nur als psychische Überschwemmung. Schon dass Erfahren sich versprachlichen lässt, weist logischerweise darauf hin, dass es schon während des Erfahrens selbst nicht unbeurteilt bleibt. Mystik muss sogar umgekehrt dahin gelesen werden, dass sie nur in einem vorhandenen kulturellen Umfeld zum Tragen kommt und zu Sprache und Auslegung gelangt, was heißt, dass sie nicht unverständliches Gestammel, sondern mitteilbar, verstehbar bleibt. Damit ergeben sich auch Kriterien der Beurteilung durch Dritte: nämlich das Subjekt wie das Objekt des mystischen Geschehens deutlicher zu umreißen. Das Objekt ist unterscheidbar von der subjektiven Psyche des Erlebenden, auch wenn beide «unablösbar» aufeinander bezogen bleiben. Als Begriff für diesen Vorgang bietet sich daher nicht Verschmelzung, sondern Begegnung an, nicht: «Ich bin du», sondern: «Ich bin dein.»
So ist am mystischen Erfahren – gemäß dem Kontextualismus – nicht einzig das Individuum, sondern auch die kulturell-religiöse Gemeinschaft beteiligt und wird mindestens mittelbar Adressat der empfangenen Botschaft. Daher bilden deren heilige Texte ein «Hintergrundsystem», aus dem der Mystiker zehrt und in das er seine Erfahrung wieder einspeist. «Eine Interpretation mystischer Texte im Christentum ist nur dann sinnvoll, wenn darin die Subjektivität der Erfahrung in einen benennbaren Spannnungsbezug zur kirchlichen Wahrnehmung der Hl. Schrift tritt und wenn sich der Mehrwert dieser Erfahrung in Richtung auf einen theologischen Sinn hin ausdeuten lässt.» Schon aus dem Grund ist es für den kontextualistischen Ansatz sinnlos, Mystik und Institution des Glaubens gegeneinander auszuspielen; im Gegenteil erhält eine mystische Mitteilung ihren eigentlichen Rang durch ihre Einbettung in Theologie.
Es sei auf ein großes Beispiel im Rahmen der zwei konträren Ansätze der Mystik-Forschung hingewiesen, auf Martin Buber (1878–1965). In seinem Werk Ekstatische Konfessionen (1909) vertrat er den Perennialismus, während er in dem nur sieben Jahre später entstehenden Werk Ich und Du, konzipiert im Ersten Weltkrieg und veröffentlicht 1923, im Kontext des wiedergewonnenen Judentums die Verschmelzungsmystik verwirft. Buber als intellektueller «Konvertit» von der einen zur anderen Seite verbot daher auch die weitere Veröffentlichung der Ekstatischen Konfessionen, weil er die Kriterien seiner dortigen Auswahl endgültig verurteilte. Darin standen Sätze wie: «Ist nicht das Erlebnis des Ekstatikers ein Sinnbild des Urerlebnisses des Weltgeistes? Ist nicht beides ein Erlebnis? Wir horchen in uns hinein – und wissen nicht, welches Meeres Rauschen wir hören.» In dem Hauptwerk Ich und Du bezieht sich Buber kritisch auf seine damalige Indifferenz, mit der er Texte aus den Upanischaden, Platon, Jesus, der Mystik von Helfta, dem Judentum etc. unterscheidungslos zusammentrug, um entgegenzuhalten: «Die klare und feste Struktur des Ich-Du-Verhältnisses, jedem vertraut, der ein unbefangenes Herz und den Mut hat, es einzusetzen, ist nicht mystischer Natur» – statt Mystik wird ihm also Dialogik, Begegnung zum entscheidenden Leitstern. Darin gehe es «um ein Aufgeben nicht etwa des Ich, wie die Mystik zumeist meint; das Ich ist wie zu jeder Beziehung so auch zur höchsten unerlässlich, da sie nur zwischen Ich und Du geschehen kann». «Was der Ekstatiker Einung nennt, das ist die verzückende Dynamik der Beziehung. […] Der Mensch kann, zur Einheit gesammelt, zur nun erst vollkommen geratenden Begegnung mit dem Geheimnis und Heil ausgehn.» Dabei werde ihm auch Welt nicht verloren, vielmehr neu geschenkt, neu zugänglich – gerade unterscheidend zu östlichen Konzepten einer Welt des flüchtigen, irritierenden Scheins. «Denn wer diesem [göttlichen Anruf] sich darbringt […], dem weihen und heiligen sich alle Dinge, in seinem Verkehr mit ihnen bekundet sich göttliche Gegenwart, und alles ist unsterblich.» [...]
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