archivierte Ausgabe 2/2016 |
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Herausgeber und Redaktion |
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JOACHIM HAKE Direktor der Katholische Akademie in Berlin e.V. |
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URSULA SCHUMACHER
Professorin für Dogmatik an der Universität Luzern |
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JAN-HEINER TÜCK Professor für dog-
matische Theologie, Universität Wien |
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Herausgeber und Redaktionsbeirat stellen sich vor. |
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Lesermeinung von |
Anton Svoboda,
Dipl.-Theologe, Musiker
Lesen Sie hier |
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Leseprobe 2 |
DOI: 10.14623/com.2016.2.138–144 |
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Michael Braun |
STADT OHNE GOTT? |
Martin Mosebachs literarische Metropolenbilder |
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Die Mythen der modernen Großstadt sind auch die Mythen der modernen Kunst. Walther Ruttmann komponierte seinen Filmklassiker Berlin. Sinfonie einer Großstadt (1927) wie ein Konzert. Mit Montage und ungewöhnlicher Kamerabewegung fand der Regisseur Bilder für die Stimmen der beschleunigten und polyphonen Stadt-Moderne. In Fritz Langs Metropolis (1927) bekommt die Großstadt ein molochartiges Gesicht, sie wird zum negativen Paradies, in dem Oben und Unten keine transzendenten Grenzen, sondern nur mehr ein soziales Klassengefälle abbildet. Das Los Angeles in Ridley Scotts Blade Runner (1982) ist eine entgötterte Traumfabrik, in der der Held, dessen Name wie «Descartes» klingt, nicht einmal weiß, wer er denn ist: ein Mensch oder ein Replikant, ein Rädchen im Getriebe einer undurchschaubaren Macht. Die moderne Stadt in Literatur und Film scheint keinen Helden mehr zu brauchen, der sie verbessert oder gar retten kann. Er hält ihr bloß den Spiegel vor. Der Held in Christopher Nolans Batman-Filmen (2005 bis 2012) ist ein dunkler Ritter (The Dark Knight, 2008), der davon überzeugt ist, dass er besser aus der Stadt verschwinden sollte, bevor er stirbt – oder zum bösen Helden wird. Und selbst in Woody Allens Manhattan-Filmen ist die Liebe zur Stadt stets verschwistert mit der Melancholie eines Erzählers, der seinen Glauben mit Freud an den «Prothesengöttern» der Moderne geschult hat, Psychoanalyse, Erotik, Kino, Literatur.
Die Forschung hat diesen ambivalenten Ursprung der modernen Großstadt in Literatur und visuellen Künsten hinreichend genau verortet: «Die moderne Großstadt generiert ihre Geschichte – im Medium des Buches und im Zeichen des Imaginären.» Interessant ist, dass die Metropole das Tor zum modernen Roman zunächst als Sittengemälde passiert hat. Mit dem Tableau de Paris (1781-1789) von Louis Sébastien Mercier, der von sich behauptet hat, er habe die Stadt so häufig zu Fuß durchquert, dass er das Buch gewissermaßen mit den Füßen geschrieben habe, begann die moderne Ära der Großstadtliteratur. Entscheidend ist seither nicht nur die ‹Gangart› des Romans, der sich seinem Gegenstand in Momentaufnahmen und Flaneurbewegungen anpasst; zum Protagonisten der Metropolenliteratur wird die Stadt selbst; an ihrem physischen Erscheinungsbild kann man das ethische Verhalten ihrer Bewohner und die ästhetische Position des Erzählers ablesen. Bis heute halten sich die meisten Großstadtromane an die moralischen Gesetze, die ihnen Balzac und Dickens vorexerziert haben. Ob das Sittentableau dann eine ästhetische Vernichtung der Großstadt bedeutet (wie in Rilkes Paris) oder ihre künstlerische Rettung (wie in Döblins Berlin), die Stadt bleibt eine gewaltige Produktionsmaschine von Geschichten, Ideen und Imaginationen. Vielleicht ist Döblins Berlin Alexanderplatz (1929) nicht zuletzt deswegen der bedeutendste deutsche Großstadtroman, weil er von Anfang an in so vielen Stimmen spricht, dass man eigentlich nicht die Menschen, und schon gar nicht den hiob-ähnlichen entlassenen Strafgefangenen Franz Biberkopf, der vom Leben mehr erwartet als nur ein Butterbrot, sondern die Medien den Ton angeben sieht.
Döblin ist das Maß, an dem alle Großstadtromane der Moderne gemessen werden. Noch in der Buchmessenbeilage 1989 attestierte Frank Schirrmacher, gerade zum Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung befördert, der deutschen Gegenwartsliteratur ein «Versagen vor der Metropole». Er sah nur «Idyllen in der Wüste», aber nicht den ultimativen Berlinroman. In den – brüchigen und beschädigten – Idyllen der deutschen, der Schweizer und österreichischen Provinzen konnte das «Glück in der Beschränkung» (Jean Paul) gesucht, die «metaphysische Antenne» (Thomas Hürlimann) ausgefahren, die Verständigung über Transzendentes gesucht werden. «Ich gönne mir das Wort Gott», gestand Andreas Maier im Zeit-Interview mit Ulrich Greiner. Maiers Romane aus der Wetterau werfen burleske Blicke auf die Großstadt, das benachbarte Frankfurt ist der Ort von Prostitution, von Geld- und Ruhmsucht – aber es hat auch, etwa an der Goethe-Universität, an der Andreas Maier studiert und promoviert hat, eine weltoffene Gesellschaft ohne provinziellen Mief.
Frankfurt am Main ist der Ort, an dem der dort 1951 geborene Martin Mosebach viele seiner inzwischen zehn Romane, seiner Prosa- und Essaybände spielen lässt. In den Romanen Lange Nacht (2009) und Was davor geschah (2011) ist die Bankenstadt am Main ein Ort, in der der Bürger sein Gottvertrauen, nicht aber seine metaphysische Bedürftigkeit verloren hat. Man muss Mosebachs Werke nicht erst als «katholische Romane» adeln, um ihr religiöses Kommunikationspotenzial zu erkennen. Es reicht, wenn man den epischen Städtebewohnern als Bürgern auf die Schliche kommt. Mit Recht hat die Kritik ja von Mosebachs Renaissance des Bürgertums gesprochen, tritt der Autor doch selbst mit dem bürgerlichen Habitus eines Kulturbewahrers auf, der das Erhaltenswerte zu erhalten sucht, Taktgefühl als eine «politische Tugend» schätzt und bekennt, keinen Tag seines Lebens «mit dem Aufstand gegen Tradition und Autorität zugebracht» zu haben.
Martin Mosebach praktiziert noch den klassischen Handkuss, von dem der äthiopische Prinz Asfa-Wossen Asserate (der 1972 nach Frankfurt kam und mit Mosebach gut befreundet ist) in seinem Kulturführer durch die europäischen Manieren (2003) sagt, er sei eine «kleine Tanzfigur», die «Selbstachtung, Distanz und Respekt» ausdrücke. Auch in diesem Sinne darf man Martin Mosebach als einen hochkultivierten Wertkonservativen bezeichnen, der seine Gegenwart an der Überlieferung misst und für jene Ästhetik der bürgerlichen Umgangsformen eintritt, die man eben «gute Manieren» nennt. [...]
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