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Leseprobe 3 DOI: 10.14623/com.2016.3.260–276
Jan Assmann
MOSE GEGEN HITLER
Die Zehn Gebote als antifaschistisches Manifest – zu Thomas Manns Novelle «Das Gesetz»
I

Mitten im zweiten Weltkrieg, als es darum ging, das eher isolationistisch eingestellte amerikanische Volk für den Krieg gegen Deutschland zu motivieren und mobilisieren, gewannen die Zehn Gebote einmal höchste Aktualität. Ein amerikanischer Journalist plante einen Film über die Zehn Gebote, den er dann aber mangels ausreichenden Budgets als Buch realisierte: The Ten Commandments. Ten Short Novels of Hitler’s War against the Moral Code. Zehn prominente Schriftsteller wurden eingeladen, eine Kurzgeschichte zu einem der zehn Gebote beizutragen, darunter kein Geringerer als Thomas Mann, der das Erste Gebot behandeln sollte. Als Honorar wurden ihm $1 000 geboten, damals sehr viel Geld. Ziel des Buches war, die Welt über den wahren Charakter des Hitlerkriegs als eines Frontalangriffs auf die menschliche Zivilisation – Recht, Moral und Religion – überhaupt aufzuklären und aufzurütteln. Was Thomas Mann dann ablieferte, die Novelle «Das Gesetz», ging über die bestellte Kurzgeschichte weit hinaus. Sein Beitrag behandelte nicht nur das Erste Gebot, sondern den Dekalog insgesamt und verstand sich als eine umfassende Einleitung in das Projekt. Er war zwar in meinen Augen kein literarisches Meisterwerk aber – das steht völlig außer Frage – die $1 000 durchaus wert, die ihm dafür bezahlt wurden.

Als Thomas Mann diesen Auftrag erhielt, beendete er gerade den vierten und letzten Band seiner Tetralogie Joseph und seine Brüder, an der er sechzehn Jahre gearbeitet hatte. Weil er die $1 000 brauchte, räumte er daher seine umfangreiche ägyptologisch-orientalistisch-bibelwissenschaftliche Bibliothek, die er für das Joseph-Projekt um sich versammelt hatte, noch nicht gleich beiseite, um für sein neues großes Projekt, Doktor Faustus, Platz zu schaffen, sondern machte sich an das kleine Auftragswerk, für das er diese Bibliothek noch einmal brauchte. Denn darin sollte es um Mose gehen, also um eine Art Fortsetzung des biblischen Stoffes, um das zweite nach dem ersten Buch Mose, nach dem Einzug nun um den Auszug aus Ägypten. Es liegt nahe, diese beiden biblischen Arbeiten hinsichtlich ihres Umgangs mit der biblischen Vorlage zu vergleichen. Zuvor muss aber natürlich der ganz grundsätzliche Unterschied hervorgehoben werden zwischen einem selbstgewählten Lebenswerk wie den Joseph-Romanen und einem lukrativen Auftragswerk, das Thomas Mann kaum zwei Monate in Anspruch genommen hat. Das Josephswerk ist trotz mancher zeitgeschichtlicher Bezüge gegen die Zeit angeschrieben und errichtet eine Gegenwelt zur immer unerträglicheren Gegenwart, die Mose-Novelle stellt dagegen auftragsgemäß eine engagierte politische Intervention dar. So endet die Mose-Novelle denn auch mit einer förmlichen Verfluchung Adolf Hitlers als des aktuellen Anti-Mose, des Zerstörers von dem, was Mose aufgebaut hat.

Bevor ich aber auf Thomas Manns Novelle im Besonderen eingehe, möchte ich einen Blick auf die biblische Vorlage werfen. Da fällt nämlich auf, dass zwischen dem Buch Genesis, dessen Kapitel 12–50 als Vorlage der Josephsromane gedient haben, und den Büchern Exodus bis Deuteronomium, auf die sich die Novelle «Das Gesetz» bezieht, ganz ähnliche Unterschiede bestehen wie zwischen den Josephsromanen und der Novelle. Wenn das Buch Genesis ähnlich wie die Josephsromane ein großes Erzählwerk ist, in dem es um Welt und Menschheit, Gott und Individuum geht und politische Themen eher am Rande stehen, dann sind die Bücher Exodus bis Deuteronomium entschieden politisch, hier geht es um Ethnogenese, die Entstehung des Volkes Israel im Bund mit JHWH, der es befreit, erwählt und durch Gebote und Gesetze moralisch und politisch konstituiert hat, also um einen politischen Mythos kat‘exochen.

In den Erzväterlegenden der Genesis herrscht daher ein ganz anderer Geist als in der Mose-Erzählung des Buches Exodus. Schon Goethe hatte diesen Unterschied bemerkt. «Eine ungeheure Kluft», schreibt er in Dichtung und Wahrheit, trennt das zweite Buch [Mose] von dem ersten». In seinem Essay «Israel in der Wüste», der in den Noten und Abhandlungen zum besseren Verständnis des West-östlichen Diwan erschien, führt er den Eindruck dieser Kluft näher aus: «Das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Weltgeschichte, dem alle übrigen untergeordnet sind», schreibt er dort, «bleibt der Conflict des Unglaubens und Glaubens. Alle Epochen, in welchen der Glaube herrscht, […] sind glänzend, herzerhebend und fruchtbar für Mit- und Nachwelt.» Auf eine solche Epoche beziehen sich die Erzvätergeschichten. «Die vier letzten Bücher Mose», fährt er fort, «haben den Unglauben zum Thema», worunter er die ungeheuren Schwierigkeiten versteht, mit denen Mose zu kämpfen hat und an denen er bei Goethe letztlich scheitert. So kommt es, dass nach Goethe «der Gott Abrahams den Seinen freundlich erscheint, wenn uns der Gott Mosis eine Zeitlang mit Grauen und Abscheu erfüllt hat.»

Goethes Einschätzung wird von manchen neuesten Alttestamentlern auf überraschendste Weise bestätigt. Die Geistigkeit der Genesis wird als universalistisch, inklusivistisch, irenisch und weltoffen charakterisiert, geht es hier doch um Gott als Schöpfer von Himmel und Erde, der für alle Menschen und Völker zuständig ist. Die Tendenz der vier letzten Bücher Mose gilt dagegen als partikularistisch, exklusivistisch, identitätsfundierend und aggressiv, hier geht es um Gott als den Befreier aus ägyptischer Knechtschaft und um die Gründung und Absonderung des Gottesvolks aus dem Kreis der Völker und ganz besonders um seine Abgrenzung gegen die Kanaanäer. Dieser Unterschied prägt sich auch in Thomas Manns beiden biblischen Erzählungen, der großen und der kleinen, aus. [...]


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