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Leseprobe 1 DOI: 10.14623/com.2017.6.560–569
Thomas Söding
LESEN, STAUNEN UND VERSTEHEN
Biblische Schriftzeichen
Sehen, um zu schreiben

«Was du siehst, schreibe in ein Buch» – Johannes von Patmos bezeugt, eine solche Stimme gehört und ihr Folge geleistet zu haben (Offb 1, 11). Als er sich umwendet, um zu erkennen, wer ihn angeredet hat, sieht er den Menschensohn in seiner erschreckenden Schönheit (Offb 1, 11–16). Sie haut ihn um: Er fällt wie tot zu Boden (Offb 1, 17) – bis Jesus ihm seine rechte Hand auflegt. Er richtet ihn auf, indem er sich selbst offenbart: Er ist der, der tot war und auferstanden ist (Offb 1, 17–18). Dann folgt die Wiederholung des Auftrages: «Was du gesehen hast, schreibe auf» (Ofb 1, 19). Wie ein roter Faden zieht sich durch das ganze Buch die Beteuerung: «Ich sah»; und was er sah, schrieb er auf.

Ohne diese Vision, die zur Inspiration wird, wäre die Johannesoffenbarung, die auf verschlungenen Wegen zum letzten Buch der Bibel geworden ist, nie entstanden. Durch diese Schrift wird die ganze Bibel für einen Ausblick ins himmlische Jerusalem geöffnet, in die Heilige Stadt, die ein neues, ein ewiges Paradies in sich birgt, offen für die Völker aller Welt, die sich vom Dreck der Sünde befreien lassen (Offb 21, 1–22, 5): durch den Menschensohn Jesus, der Johannes zu schreiben beauftragt, was er «gesehen» hat. Für das, was er sieht, muss Johannes beim Schreiben seine eigenen Worte finden; was er schreibt, muss eine Vorstellung von dem wiedergeben, was er gesehen hat. «Insofern dürfen wir Johannes nicht nur Seher und Schreiber nennen, sondern auch Autor».

Warum soll Johannes das, was er geschaut hat, aufschreiben? Eine erste Antwort lautet: damit auch andere etwas von seiner Vision haben. Sie ist nicht eine Privatoffenbarung, die Johannes für sich behandeln soll, weil sie nur ihn etwas angeht; sie ist eine öffentliche Angelegenheit von höchster politischer Brisanz. Die Fortsetzung des ersten Schreibauftrages lautet: «… und sende es an die sieben Kirchen nach Ephesus, nach Smyrna, nach Pergamon, nach Thyatira, nach Sardes, nach Philadelphia und nach Laodizea» (Offb 1, 11). Alle Städte liegen auf dem Festland, dem die Insel Patmos vorgelagert ist. Ephesus ist die Hauptstadt der römischen Provinz Asia; die anderen Orte liegen im weiteren Umkreis. Die Abfolge der Namen lässt auf der Landkarte einen Rundweg erkennen, den ein Bote hätte nehmen können. Mit sieben Sendschreiben an die «Engel» dieser sieben Gemeinden beginnt das «Buch», das Johannes versenden soll (Offb 2–3). Sie zeichnen ein farbiges Bild von frischen Aufbrüchen und enttäuschten Hoffnungen, von verfänglichen Vorlieben und verborgener Klasse. Johannes hat einen scharfen Blick für Schwächen und Stärken, für Versuchungen und Versprechungen, Veränderungen und Verhärtungen. Kleinasien ist ein Zentrum stürmischen Wachstums, das die junge Kirche in schwierigen Zeiten erlebt. Die Christen dort sollen erfahren, was Johannes gesehen hat, der unter ihnen als Prophet gelebt hat, aber von den römischen Behörden mundtot gemacht werden sollte und nach Patmos verbannt worden war. Das «Buch» des Johannes soll Öffentlichkeit herstellen, vielleicht nur erst im Untergrund, aber von Anfang an in Dimensionen, die Himmel und Erde verbinden.

Die eigentliche Antwort auf die Frage, warum das Sehen zum Schreiben führen soll, lautet deshalb: weil der Menschensohn in Erscheinung tritt, der Gesandte Gottes, der das Reich Gottes aufrichtet und damit die Weltgeschichte grundlegend verändert. Er ist der, durch den Gott das Gericht über alle hält, die sich der Diktatur des Bösen verschrieben haben; er ist auch derjenige, der durch das Gericht hindurch vollkommenes Heil schafft, ewiges Leben, überglückliche Seligkeit im Licht Gottes selbst. Dieser Menschensohn geht alle Welt an; deshalb muss auch alle Welt von ihm erfahren – und in erster Linie müssen diejenigen Bescheid wissen, die in der Kirche die Vorposten der neuen Welt bilden.

Was Johannes aufschreibt, ist das Evangelium selbst – nicht in Form einer Erinnerung an die Geschichte Jesu, sondern im Ausblick auf eine Zukunft, die längst begonnen hat und immer neu anfängt. Johannes beschreibt visionär die dramatischen Prozesse, wie in den Abgrund des Todes das Licht Gottes scheint und wie in der Herrlichkeit des Himmels die Stimmen der Opfer unmenschlicher Gewalt zu Gehör kommen. Diese Prozesse laufen permanent ab, solange die Zeit währt. Ohne dass er den Menschensohn gesehen hätte und das, «was ist und was kommen wird» (Offb1, 19), hätte Johannes nichts, was er aufschreiben könnte. Wenn er, in schriftlicher Form, das Evangelium verkündet, die Gute Nachricht Gottes selbst, können es nicht seine eigenen Beobachtungen und Überlegungen sein, die ihn zum Schriftsteller machen: Es muss ihm etwas gezeigt werden, was seine Augen ganz neu öffnet; es muss ihm Hören und Sehen vergangen sein, bevor er zur Feder greifen kann. Genau das wird immer wieder in die Johannesoffenbarung eingestreut; dass Johannes nicht fassen und nicht verstehen kann, welches Grauen und welchen Glanz er erblickt. Als Autor ist er inspiriert. Selbstverständlich gibt es den Projektionsverdacht; es ist ein Glaubensurteil der Kirche, dass Johannes ist, als was er sich sieht: ein Prophet. Aber in der Hermeneutik des Glaubens zeigt sich: was Johannes schreibt, muss er geschaut haben; er schaut, um zu schreiben, weil es ihm gezeigt wird, damit er ein Schriftsteller wird.

Sein «Buch» – eine Schriftrolle nach jüdischen Vorbild, ein Kodex wie bei den ältesten Papyrushandschriften neutestamentlicher Texte? – ist ein Medium der Offenbarung. Der schriftliche Text gilt nicht, wie bei Plato (Phaedron 275 D, Epistula 7), wegen seiner Stofflichkeit als medioker; er gilt auch nicht, wie in Ägypten, wegen seiner Dauerhaftigkeit als sakrosankt; er ist ein nützliches, ja: ein unverzichtbares Kommunikationsmedium. Er ist für den Autor selbst ein Mittel der Vergewisserung dessen, was er gesehen hat; er überbrückt Räume zwischen dem Autor und seiner Leserschaft; er entwickelt die Fähigkeit, verschiedene Zeiten miteinander zu vernetzen und spätere Generationen an ursprünglichen Einsichten teilhaben zu lassen; er wird zur einer Stütze verlässlicher Überlieferung.

In der Johannesoffenbarung wird hoch verdichtet, was in der gesamten Bibel des Alten und des Neuen Testaments den Prozess der Schriftwerdung vorangetrieben hat. Von der Tora bis zu den Propheten, in den Evangelien und in den Briefen sind Texte gesammelt worden, die an vielen Stellen bezeugen, sich einer Schau, einem Traum, einer Eingebung, einem göttlichen Auftrag zu verdanken; sie sind kanonisiert worden, weil die Glaubensgemeinschaft der Kirche, mit dem Judentum radikal verbunden, in ihnen die entscheidenden Weichenstellungen, die wegweisenden Aufbrüche, die tiefen Weisheitsquellen gefunden hat und immer neu findet. Das Christentum ist keine Buchreligion wie der Islam, aber die Kirche ist eine Lesegemeinde, die im Schriftwort das lebendige Wort Gottes erkennen will. [...]


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