archivierte Ausgabe 1/2018 |
   |
      |
 |
Herausgeber und Redaktion |
 |
JOACHIM HAKE Direktor der Katholische Akademie in Berlin e.V. |
  |
URSULA SCHUMACHER
Professorin für Dogmatik an der Universität Luzern |
  |
JAN-HEINER TÜCK Professor für dog-
matische Theologie, Universität Wien |
 |
Herausgeber und Redaktionsbeirat stellen sich vor. |
 |
|
Lesermeinung von |
Anton Svoboda,
Dipl.-Theologe, Musiker
Lesen Sie hier |
 |
|
|
|
 |
|
|
|
|
Leseprobe 3 |
DOI: 10.14623/com.2018.1.66–77 |
|
Jan-Heiner Tück / Hartmut Lange |
Gespräch mit Hartmut Lange |
«DIE KUNST KANN BILDER ERSCHAFFEN, DIE DER RELIGION UNERREICHBAR BLEIBEN …» |
 |
Odo Marquard hat ihn emphatisch gewürdigt, Botho Strauß ihm eine dichte Aufzeichnung gewidmet. Seine Novellen, die das Verhängnis der Vergänglichkeit umkreisen und die heikle Frage nach der Versöhnung zwischen Tätern und Opfern aufwerfen, finden neuerdings vermehrt auch theologische Aufmerksamkeit. Der Berliner Schriftsteller Hartmut Lange (geb. 1937) – einst entschiedener Marxist, heute suchender Melancholiker – äußert sich im Gespräch mit dem Theologen Jan-Heiner Tück über das Transzendenzbegehren des Menschen und die Antwortpotentiale der Kunst.
JAN-HEINER TÜCK: Herr Lange, Sie haben früh zu schreiben begonnen. Gibt es so etwas wie einen Ur-Impuls?
Hartmut Lange: Die Kunst kann keinen Ur-Impuls für ihre Entstehung in Rechnung stellen. Sie ist eine Begabung, die sich bis zur Triebtäterschaft zur Geltung bringen kann. Aber es gibt eben auch Leute, die, obwohl begabt, nie zur Feder gegriffen haben. Insofern bleibt die Entscheidung des Künstlers zur Kunst immer auch ein Geheimnis.
Sie sind 1937 geboren und haben als Kind noch die Spätphase der NS-Diktatur miterlebt. Später sind Sie unter den Bedingungen des Sozialismus aufgewachsen und haben das System der DDR in seiner Ambivalenz kennengelernt. Wie haben diese Erfahrungen Ihr Schreiben beeinflusst?
Lange: Das kann nur durch eine Analyse des Geschriebenen nachgewiesen werden. Alles andere wäre tautologisch. Mit anderen Worten: Das, was ich geschrieben habe, ist ausschließlich meinen Erfahrungen geschuldet.
Als junger Schriftsteller waren Sie bekennender Marxist und Atheist. Als die Verbrechen Stalins bekannt wurden, hat das Ihre Systemgläubigkeit erschüttert. Sie sind vom ungläubigen Atheisten zum fragenden Melancholiker mutiert – ist das für Sie rückblickend eine Art Konversionserfahrung gewesen?
Lange: Der Marxismus versteht sich grundsätzlich als soziales Versprechen. Es ist ein Versprechen, das sich auf das konkrete Leben bezieht und die Fragen der Metaphysik spielen keine Rolle. Insofern ist das soziale Versprechen ethisch autonom, und die Fähigkeit zur Vernunft erledigt alle Fragen der Transzendenz, die das konkrete Leben übersteigen. Friedrich Engels hat in seiner «Dialektik der Natur» die Konsequenzen eines Seins zum Tode zwar erwähnt, aber für unerheblich erklärt. Der Vernunftbegriff des Marxismus bezieht sich auf Hegel, der das konkrete Denken als Mittel zur Gotteserkenntnis handhabt, und diese Bezüglichkeit hat Marx mit seiner Bemerkung «Man muss Hegel vom Kopf auf die Füße stellen», konsequent materialisiert Hier wird der Gottesgedanke in die politische Ökonomie überführt unter dem Motto: «Der Mensch braucht Gott nicht, er muss genug zu essen und zu trinken haben», und es ist klar, dass solch eine Lebensauffassung nur durch ein Höchstmaß an Verstandesseligkeit Plausibilität erlangt. Diese Verstandesseligkeit ist aber auf brutale Weise einseitig. Im Klassenkampf, für Marx das einzige Mittel, die soziale Gerechtigkeit durchzusetzen, kann jeder Gegner getötet werden, da man das Sterben als unerheblich ausgeklammert hat.
Daraus folgt: Solange man auch als sogenannter Gut-Mensch dem rigorosen Begehren nach sozialer Ethik zustimmt, spielt der Massenmord keine Rolle mehr. Dem hat auch Brecht zugestimmt, und es ist klar, dass hier die Ideale des Humanen ohne jede Metaphysik durchgepeitscht werden. Aber wem dies bewusst wird, der kann der Rigorosität der sozialen Vernunft von Marx und Engels nicht mehr zustimmen. Insofern war meine Konversionserfahrung zunächst kein metaphysisches Erschrecken, sondern das blanke Entsetzen darüber, dass ich mich aus Gründen der sozialen Ethik in die Gefolgschaft von Verbrechern begeben hatte.
Verhängnisvoll ist doch auch, dass der Historische Materialismus die Toten ausklammert. Sie sind für ihn bestenfalls Dünger für eine bessere Welt – oder?
Lange: Der historische Materialismus hat wenig Sinn für die Vergänglichkeit. Er bleibt auf das Leben ausgerichtet und kennt die existentielle Not des Einzelnen nicht, also auch nicht die Verzweiflung über die Vergänglichkeit. Ihm ist jedes Transzendenzbegehren Schall und Rauch, da er das Bewusstsein lediglich einer sublimen Form der Materie zurechnet.
Der frühe Harmut Lange ist als Dramatiker im Gefolge von Bertold Brecht und Peter Hacks bekannt geworden, der den unaufhaltsamen Weg zum Kommunismus in seinen Stücken virtuos bebildert hat. Nach einer Krise, die im Tagebuch eines Melancholikers (1983) und im Roman Die Selbstverbrennung (1984) ihren Niederschlag gefunden hat, sind Sie ab Mitte der 1980er Jahre als Autor von Novellen hervorgetreten. Was hat Sie zu diesem Wechsel des literarischen Genus veranlasst?
Lange: Nur in einer freien Gesellschaft, die das konkrete Leben auch in seiner metaphysischen Bezüglichkeit akzeptiert, kann man die gottlose Existenz als «Krankheit zum Tode» definieren. Hätte Kierkegaard damit rechnen müssen, jeden Augenblick vom Geheimdienst verhaftet zu werden, hätte er sich über die Gottesbezüglichkeit seiner Existenz keinerlei Gedanken gemacht. Nun gibt es für den Schriftsteller immer auch eine subjektive Verfasstheit, die ihm nicht von den gesellschaftlichen Verhältnissen aufgezwungen wird. Es gibt enzyklopädische Epiker wie Thomas Mann, der sich vor allem ausführlich äußern wollte, und es gibt die Veranlagung zur Lakonie wie bei Kafka, und ich hatte, da die Theaterverhältnisse für mich immer schwieriger wurden, irgendwann beschlossen Prosa zu schreiben. Und es scheint nicht unerheblich zu sein, ob man vorher Dramen oder Gedichte geschrieben hat. Beim Dramatiker wird die Prosa knapper, stringenter. Das kann man bei Kleist und Tschechow studieren, und nicht umsonst hat Theodor Storm die Novelle als Schwester des Dramas bezeichnet. Hier setzt sich der Formwille des Dramatikers durch, und dies geschieht unbewusst.
Eine dichte Szene haben Sie in Ihrer Novelle Die Heiterkeit des Todes eingefangen. Eine ermordete Jüdin trifft ihren Peiniger und – liebt ihn! Der Zeuge dieser Annäherung ist empört, aber seine Empörung läuft ins Leere. Was hat Sie angeregt, das heikle Thema der Versöhnung zwischen Tätern und Opfern aufzuwerfen?
Lange: Die Gewissheit des Todes ist das negative Abstraktum, das wir zu fürchten haben, und es ist nur selbstverständlich, dass wir den Zustand des Todes relativieren. Das kann allerdings nur in der Vorstellungswelt geschehen, das heißt in der Sphäre der Kunst oder des Glaubens.
Religionen sind meiner Überzeugung nach vor allem darauf aus, das ewige Leben zu sichern, und es war mir ein Bedürfnis, eine Kunstwelt zu schaffen, in der das ewige Leben keinen Platz hat. «Wo uns das Leben unglücklich macht, geschehen im Tod die Zeichen und Wunder», dieser Ausspruch einer Ermordeten in meiner Erzählung weist darauf hin, dass der Zustand des Todes dem Zustand des Lebens ethisch überlegen ist. Die Kunst hat ihren eigenen Wahrheitsgrund. Sie kann transzendente Bilder erschaffen, die der Religion unerreichbar bleiben, weil diese darauf aus ist, der transzendenten Welt Wirklichkeit zu verleihen. Dies geschieht durch den Glauben, der konfessionell abgesichert ist, während die Kunst, auch im Bereich des Unmöglichen, immer auf ihren Scheincharakter verweisen kann. Insofern war es für mich eine Genugtuung, der tatsächlichen Welt die Überlegenheit einer erfundenen Welt in Rechnung zu stellen. [...]
Lesen Sie den kompletten Artikel in der Printausgabe.
|
|
|
|
|
|
|
Unsere neue Dienstleistung für Verlage, die Ihr Abogeschäft in gute Hände geben wollen.
|

mehr
Informationen
|
 |
|
Bücher & mehr |
|
|