archivierte Ausgabe 1/2020 |
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Herausgeber und Redaktion |
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JOACHIM HAKE Direktor der Katholische Akademie in Berlin e.V. |
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URSULA SCHUMACHER
Professorin für Dogmatik an der Universität Luzern |
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JAN-HEINER TÜCK Professor für dog-
matische Theologie, Universität Wien |
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Herausgeber und Redaktionsbeirat stellen sich vor. |
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Lesermeinung von |
Anton Svoboda,
Dipl.-Theologe, Musiker
Lesen Sie hier |
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Leseprobe 3 |
DOI: 10.14623/com.2020.1.64–77 |
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Achim Buckenmaier |
SOLL DAS FEST DER BESCHNEIDUNG JESU WIEDERHERGESTELLT WERDEN? |
Eine Antwort aus dem Denken des Thomas von Aquin |
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Was vergessen wurde und verloren ging
Im Zuge der Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde der Titel «Beschneidung des Herrn» aus dem kirchlichen Namen des Neujahrstages gestrichen. Übrig blieb die Kennzeichnung als achter Tag (Oktav) nach Weihnachten und als Fest der Gottesmutter Maria. Allerdings war es nur eine teilweise Tilgung: Mit Lk 2, 16–21 als Tagesevangelium blieben am 1. Januar Beschneidung und Namensgebung Jesu weiterhin Thema des Festtages.
Auch wenn die Liturgiker nach dem II. Vatikanum dem Alten Testament wieder einen hörbaren Platz in der Messfeier gegeben haben, spiegelt ihre Reform den Stand des Schriftverständnisses wieder, den die Kirche der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts hatte. Historisch-kritische Exegese zu treiben, war gerade einmal ein paar Jahre in der katholischen Theologie möglich. Der Gewinn, auch das Alte Testament in die liturgischen Leseordnungen aufzunehmen, war zwar enorm, aber hermeneutische Fragen nach dem Zueinander von Altem und Neuem Testament in diesem Kontext waren noch nicht am Horizont sichtbar. Ein wirkliches Verstehen der jüdischen Bibel, die viel mehr in sich hat, als nur entsprechend der Kategorie von Verheißung und Erfüllung Stoff für die Glaubenslehren der Christen zu bieten, oder gar ein Bewusstsein, dass das Christentum nicht nur vom Judentum herkommt, sondern sogar seinen Auftrag verliert, wenn es nicht jüdisch geprägt bleibt, all das war noch ganz außerhalb der Sichtweite der meisten Theologen. Statt dessen wurde dem 1. Januar das neue, allgemeinere Label eines «Weltfriedenstages» aufgeklebt. Dass für die Katholiken die Verehrung der Mutter Jesu – auch dies ein Inhalt des Neujahrstages – durchsichtig sei auf das Judentum, in das Jesus wie jeder Jude durch eine jüdische Mutter aufgenommen war, muss man allerdings bezweifeln. 2007 haben sechs deutschsprachige Theologen einen Appell an Benedikt XVI. zur «Wiederherstellung des Festes der Beschneidung des Herrn» gerichtet; 2018 hat der Wiener Dogmatiker Jan Heiner Tück diesen Vorschlag erneut vorgebracht.
Die Geschichte des Verhältnisses von Judentum und Christentum trägt weitgehend die Bürde der Diffamierung und Verfolgung der Juden durch die Christen als Signum. Im Konkreten war es auch eine Geschichte der Verleumdung der jüdischen Tradition, vor allem ihrer nachbiblischen Zeugnisse und ihres Lebensstils. Als im April 2019 die Kathedrale von Notre Dame in Paris in Flammen stand, erinnerte ein Rabbiner an jene Flammen, die im Jahr 1242 genau auf dem Vorplatz der Kathedrale emporloderten und 22 Wagenladungen mit über tausend Exemplaren des Talmud – zusammengekarrt aus ganz Frankreich und jedes ein handgeschriebenes Werk – zu Asche verbrannten. Dem war ein zweijähriger «Prozess» vorausgegangen, in dem der Talmud vor Gericht angeklagt und zum Feuertod verurteilt worden war.
Es gab noch einen anderen Strang der Geschichte
Aber die Geschichte war nicht nur schändlich. Ein paar wenige sahen im Judentum und seinen Überlieferungen mehr. Erstaunlicherweise war gerade Paris der Schmelztiegel solcher ungewöhnlicher Anschauungen geworden, die knapp zwei Jahrhunderte lang aus dem Gemisch eines dumpfen theologischen Antijudaismus herausragten. Danach verstummten diese Stimmen und die Theologie hat, was die Sicht auf die Heilsgeschichte angeht, bis Nostra aetate nie mehr diese Höhe der Einsichten erreicht. Zu diesen wenigen gehört auch Thomas von Aquin. Weil sich Thomas in ungewöhnlich ausführlicher Weise mit der jüdischen circumcisio, der Beschneidung, befasst hat, können wir ihn befragen.
Man sieht Thomas immer nur als einzelne, überragende Gestalt der Theologie. Der Dominikaner Ulrich Horst hat 2017 ein Sammelwerk veröffentlicht unter dem Titel «Thomas von Aquin. Predigerbruder und Professor» und hat damit auf etwas Entscheidendes aufmerksam gemacht. Nachfolge war für Thomas Scheidung und Auseinandersetzung um der neuen Gemeinschaft willen, reale imitatio Christi. Zu Thomas gehört sein Orden, der so radikal in der Kirche seiner Zeit auftrat, dass es die ganze gewalttätige Energie seiner noblen Familie entfachte. Was nur Markus wagt, von Jesus zu erzählen, dass ihn seine Familie «mit Gewalt zurückholen wollte; denn sie sagten: Er ist von Sinnen» (vgl. Mk 3, 21), hatte auch Thomas erlebt. Es gehören zu ihm die Theologenkollegen seiner Zeit, denen er begegnete und mit denen er in der Lebensgemeinschaft der neuen Familie lebte, und – ihm schon vorausgegangen – jene des 12. Jahrhunderts, die sich als magistri in sacra pagina (Lehrer der Theologie) verstanden, deren Unterricht sich nicht mehr an claustrales (Klostermönche) wendet, an «Mönche, die für ein privates Leben frommer Betrachtung Nahrung suchen», sondern an scholares, Kleriker, die in den Städten leben und «in ein aktives Programm apostolischer Eroberung eingespannt» waren. Als Papst Leo XIII. in der Enzyklika Aeterni Patris 1879 die überragende Stellung des Theologen Thomas von Aquin herausstellte, begründete er dessen außergewöhnliche Bedeutung für die Theologie nicht damit, dass er ein einzigartiges theologisches Genie bei Thomas feststellte, das völlig Neues hervorgebracht hatte, sondern er argumentierte genau mit dem Prinzip der Sammlung und Weiterentwicklung. Das Genie des Thomas bestand nach Leo XIII. in der Aufnahme und Vervollkommnung dessen, was er bereits vorfand.
Thomas wurde nicht zufällig 1245 nach Paris geschickt. Es war nicht nur, weil Albert der Große dort unterrichtete. Paris war die Metropole des neuen Lehrens und Lernens. Das mittelalterliche Paris verstand sich als ein neues Athen. Irgendwie schien das Mönchtum, einmal als Reformkraft entstanden, mit seiner auch im wörtlichen Sinn in den Klöstern zwischen Wäldern, in Tälern oder auf Bergen abgeschlossenen Theologie kraftlos geworden zu sein. Die neuen Bettelorden verbanden sich in Städten wie Paris und Oxford wagemutig und auch unerwartet mit der Institution Universität, was beide grundlegend beeinflusste. Die bedeutendsten Universitätslehrer des 13. Jahrhunderts waren ausnahmslos Bettelmönche. Hundert Jahre vor Thomas war am Rive gauche (dem Pariser Stadtteil auf der linken Seite der Seine) mit dem Kloster St. Viktor eine erste Klosterschule des neuen Typs entstanden. Die Viktoriner waren ein Jahrhundert lang eine erstaunlich kreative Gruppe von Theologen, die weit über das hinauskamen, was die Theologen ihrer Zeit lehrten. Hugo von St. Viktor (+1175) sanktioniert den Grundsatz vom Primat des Literalsinns innerhalb der Exegese, wenn er sagt: Fundamentum et principium doctrinae sacrae historia est (Grundlage und Prinzip der Theologie ist Geschichte). Das war entscheidend, um zum Alten Testament und zur Geschichte des Gottesvolkes zurückzufinden.
Nur wenig daneben ließ sich ein Jahr nach der Anerkennung als Orden eine winzige Gruppe von Dominikanern nieder und fing in einem kleinen Haus mit ihrem gemeinsamen Leben, Studieren und Lehren an. Die Widerstände der Ortskirche waren beträchtlich, vehement und zugleich erbärmlich kleinkariert. Hugo von St. Cher war von 1230–1235 Rektor dieses Kollegs von Saint-Jacques, und unter seiner Leitung entfaltete eine Art Arbeitsgemeinschaft von Theologen ihre urbane Wirkung. Das Kolleg lag, wie Chenu bemerkt, «am Beginn jener ‹Straße› nach Compostella, die die Räume des Verstehens und der Liebe weit werden lässt». Die synchrone, aber auch die diachrone Teamarbeit taucht mit Ausnahme der Übersicht Chenus in keiner Thomas-Darstellung auf, wahrscheinlich, weil sich wenige unter solchen Arbeitsbedingungen und unter einem solchen «apostolischen Leben» etwas Konkretes vorstellen können. Dazu gehörte – von den Späteren noch weniger bemerkt und nur in Spezialuntersuchungen Thema – der Kontakt zum Judentum, der uns zwar im Konkreten unbekannt ist, den man aber durch Thomas’ detaillierte Kenntnisse des Judentums voraussetzen muss. Räumlich ist er im Wortsinne «naheliegend». Der Pariser Marais ist das Stadtviertel, das gegenüber dem heutigen 5. Arrondissement am rechten Seineufer liegt und ab dem 13. Jahrhundert das Zentrum jüdischen Lebens in Paris bildet. Mit den Vierteln um St. Viktor ist es durch die Île Saint-Louis und ihre Brücken verbunden.
Zwischen den Lebenszeiten Hugos von St. Viktor und des Thomas liegt das Leben Mosche Maimons (um 1135–1204), genannt Moses Maimonides oder Rambam, und noch zu dessen Lebzeiten der erste innerjüdische Maimonides-Streit (1180) sowie in der Jugend des Thomas der zweite große Konflikt um Maimonides (1230–1232). Darin rang auch das Judentum um die großen Fragen von Vernunft und Glaube, Autorität und Hermeneutik. Thomas hat nicht nur Aristoteles, den er einfach «den Philosophen» nennt, und Averroes, «den Kommentator», rezipiert, sondern auch die Werke des Maimonides gekannt. Einmal nennt er ihn analog zu den beiden anderen einfach «den Rabbi», an 81 weiteren Stellen zitiert er das Hauptwerk des Rambam, den «Führer der Unschlüssigen», manchmal sogar mit direkten Angaben des Werkes. [...]
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