archivierte Ausgabe 2/2020 |
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Herausgeber und Redaktion |
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JOACHIM HAKE Direktor der Katholische Akademie in Berlin e.V. |
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URSULA SCHUMACHER
Professorin für Dogmatik an der Universität Luzern |
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JAN-HEINER TÜCK Professor für dog-
matische Theologie, Universität Wien |
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Herausgeber und Redaktionsbeirat stellen sich vor. |
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Lesermeinung von |
Anton Svoboda,
Dipl.-Theologe, Musiker
Lesen Sie hier |
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Leseprobe 3 |
DOI: 10.14623/com.2020.2.192–205 |
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Thomas M. Schmidt |
DIE KONSTELLATION VON GLAUBEN UND WISSEN |
Zur Genealogie des nachmetaphysischen Denkens bei Jürgen Habermas |
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I
Jürgen Habermas hat sich in den vergangenen Jahrzehnten intensiv mit dem Verhältnis von Glauben und Wissen beschäftigt. Er hat seine Position in dieser Frage stets reflektiert und im Laufe der Jahre modifiziert. So vertrat er in seinem Hauptwerk aus den frühen 1980er Jahren, der Theorie des kommunikativen Handelns, noch eine klassische Theorie der Säkularisierung. Die Moderne sei das Produkt zunehmender Rationalisierung und Ausdifferenzierung der gesellschaftlichen Teilbereiche, wie sie etwa in der Trennung der Kirche von Staat, Kunst und Moral greifbar werde. Eine zunehmende Versprachlichung des Sakralen führe zur Auflösung und kommunikativen Verflüssigung substantieller religiöser und metaphysischer Vorstellungen. Seit dem Ende der 1980er Jahre trat bei Habermas dann eine eher skeptisch-agnostische Position an die Stelle dieser linearen Vorstellung der gesellschaftlichen Evolution. Er betonte nun stärker die Notwendigkeit der Enthaltsamkeit nachmetaphysischer Vernunft, die sich nicht an die Stelle des Glaubens setzen könne. Philosophie könne nicht den Trost ersetzen, den Religion spendet, sie zehre vielmehr noch vom semantischen Potential religiöser Überlieferungen. Philosophie könne daher «auch in ihrer nachmetaphysischen Gestalt Religion weder ersetzen noch verdrängen». Habermas ließ es in dieser Phase allerdings offen, ob die «fortbestehende Koexistenz» von Religion und nachmetaphysischem Denken dauerhaften oder nur vorläufigen Charakter besitzt.
In einem weiteren, dritten Schritt, der sich spätestens in den Beiträgen seit der Friedenspreisrede von 2001 deutlich artikuliert, plädiert Habermas nun für die Möglichkeit einer dauerhaften Kooperation von Religion und nachmetaphysischem Denken. Religion erscheint nun als willkommener Bündnispartner im Kampf gegen eine einseitig säkularisierte Moderne, wie sie etwa in der Dominanz naturalistischer, technologischer oder ökonomischer Modelle von Rationalität zum Ausdruck kommt. Gerade in der Auseinandersetzung mit den Bio- und Neurowissenschaften zeigt sich laut Habermas, dass bestimmte moralische Empfindungen «bisher nur in religiöser Sprache einen hinreichend differenzierten Ausdruck» gefunden hätten. Nachmetaphysisches Denken bekämpft also nicht aggressiv die Religion, sondern setzt sich zu ihr in ein produktives Verhältnis. Dieser Denkweg mündet nun in das monumentale Werk Auch eine Geschichte der Philosophie, das vor wenigen Monaten erschienen ist. Es stellt die systematische Summe des philosophischen Nachdenkens von Habermas über das Verhältnis von Glauben und Wissen dar.
II
Das neue Buch von Jürgen Habermas besteht aus zwei Bänden, ihre Titel lauten «Die okzidentale Konstellation von Glauben und Wissen» sowie «Vernünftige Freiheit. Spuren des Diskurses über Glauben und Wissen». Das Verhältnis von Glauben und Wissen ist also strukturbildend für dieses Unternehmen. Dennoch handelt es sich bei diesem Buch nicht um ein religionsphilosophisches oder gar theologisches Werk. Es versucht vor allem die Frage zu beantworten, was Philosophie heute noch sein und leisten kann.
Die Frage nach dem Wesen von Philosophie zu stellen, ist für Habermas kein akademischer Selbstzweck. Diese Frage ist eingebettet in die Verteidigung und Weiterentwicklung des Projekts der Moderne, der gesellschaftlichen Verwirklichung der Idee vernünftiger Freiheit. Die breite und detaillierte Bezugnahme auf theologische und religionsphilosophische Literatur dient Habermas daher auch nicht als Plädoyer für eine umfassende und exklusive Rückkehr zur Religion. Habermas vertritt nicht die Auffassung, dass die Vernunft ohne Glauben, der säkulare Staat ohne Religion in der Luft hinge. Das nachmetaphysische Denken ist und bleibt für ihn säkulares Denken. Aufgeklärtes nachmetaphysisches Denken bekämpft aber nicht aggressiv die Religion, sondern setzt sich zu ihr in ein produktives Verhältnis. Das nachmetaphysische Denken versteht sich selbst besser, wenn es sich in seinem Anderen, dem religiösen Glauben, reflektiert.
Nachmetaphysisches Denken versteht Vernunft prozedural, als ein Verfahren des Forderns, Gebens und Beurteilens von Gründen. Wenn prozedurale Vernunft aber als reines Verfahren betrachtet würde, als bloße Methode zur Überprüfung von Hypothesen, dann wäre in letzter Konsequenz der Unterschied zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften aufgehoben. Wenn dagegen von der Philosophie erwartet wird, eine letzte verbindliche inhaltliche Antwort auf die Frage nach dem guten und richtigen Leben zu geben, dann droht sie zu einer partikularen Weltanschauung neben anderen zu werden. In diesem Buch artikuliert sich somit eine vertraute Sorge von Habermas, dass Philosophie zerrieben zu werden droht zwischen den Extremen ihrer Verwissenschaftlichung und Verweltanschaulichung.
Auf die Frage nach dem guten und richtigen Leben bieten Religionen partikulare, aber wirkmächtige Antworten. Sie hören daher nicht auf, das nachmetaphysische Denken, das sich seiner selbst zu vergewissern sucht, zu reizen. Die Herausforderung der Religion entspringt dabei nicht so sehr ihrer Eigenschaft einer möglichen konkurrierenden Weltanschauung, die uns die Welt im Ganzen erklären und unser Handeln rechtfertigen könnte – dazu ist die säkulare Vernunft in Gestalt der modernen Wissenschaft, der autonomen Moral und des positiven Rechts aus eigenen Kräften in der Lage. Religionen bieten vielmehr Formen der praktischen Bewältigung jener Krisen an, die unser In-der-Welt-Sein als Menschen mit sich bringt.
Daher stellt nur eine Form von Religion, die sich noch nicht restlos in reine Weltanschauung aufgelöst hat, sondern den Bezug zur rituellen Praxis einer Gemeinde bewahrt, eine echte, ernstzunehmende Herausforderung für das nachmetaphysische Denken dar. Nur eine Religion, die sich noch nicht vollständig zu einer innerweltlichen Projektidee transformiert hat, bleibt ein «Pfahl im Fleisch der Moderne» (Bd. 2, 807). Habermas nimmt hier nicht zuletzt Anregungen aus einem langjährigen und intensiven Dialog mit Johann Baptist Metz und dessen Kritik an einer Verbürgerlichung der christlichen Religion auf. In Gestalt eines Ritus, für den die säkulare Kultur noch keine vollständig gleichwertigen Äquivalente gefunden hat, hält Religion also das Bewusstsein wach, «von dem, was fehlt».
Die Analyse des Verhältnisses von Mythos und Ritual bildet daher einen der Hauptstränge des neuen Buches von Habermas, das seine bisherigen Überlegungen zum Verhältnis von Glauben und Wissen bündelt, systematisiert und vertieft. Die grundlegenden systematischen Überlegungen zu «Mythos und Ritus» (Bd. 1, 201–245) und zum «Sinn des Sakralen» (Bd. 1, 256–272) finden sich vor allem im zweiten Kapitel, das den «sakralen Wurzeln der achsenzeitlichen Überlieferungen» (Bd. 1, 175–306) gewidmet ist.
III
Auch eine Geschichte der Philosophie, die am Leitfaden von Glauben und Wissen erzählt wird, ist abhängig von der Philosophie der Geschichte, die ihr zugrunde liegt. Dies deutet die ironische Anspielung des Buchtitels auf einen Essay von Johann Gottfried Herder an. «Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit» – so lautet der Titel einer geschichtsphilosophischen Abhandlung von Herd er aus dem Jahre 1774, in der er sich sowohl von einer pessimistischen Auffassung von Geschichte als Verfall distanziert als auch von einer optimistischen Auffassung von einem steten, in der Gegenwart gipfelnden Fortschritt zum Besseren. In diesem Sinn sucht auch Habermas gleichen Abstand zu halten von einer verfallstheoretischen wie einer naiv-fortschrittsoptimistischen Geschichtsauffassung. Mit Blick auf die Frage nach der Bildung der Menschheit gilt es daher, einen Mittelweg zu finden zwischen naiver Wissenschaftsgläubigkeit und apokalyptischem Geraune vom Untergang der Kultur. Der Bestimmung einer solchen geschichtsphilosophischen Position dient das Konzept einer «Genealogie nachmetaphysischen Denkens», das im ersten Kapitel (Bd. 1, 21–174) methodologisch bestimmt und entfaltet wird. [...]
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