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Leseprobe 3 DOI: 10.14623/com.2020.6.690–699
Markus Tiwald
«PARTING OF THE WAYS»
Wann schieden sich die Wege von Judentum und Christentum?
Die Frage, wann die Wege zwischen Judentum und Christentum auseinandergingen, ist derzeit eines der meistdiskutierten Themen neutestamentlicher Wissenschaft und enthält ein noch kaum genutztes Potential für den interreligiösen Dialog. Die Thematik der Trennung von Judentum und Christentum wird zumeist unter der catchphrase «Parting of the Ways» abgehandelt. Wann aber schieden sich die Wege tatsächlich?

1. Jesus von Nazaret


In der modernen Bibelwissenschaft ist es unstrittig, dass Jesus selbst keine eigene Religion abseits vom Judentum gründen wollte. Das Gottesvolk, an das sich Jesus wendet, sind nur die «verlorenen Schafe des Hauses Israel» (Mt 10, 6). Sein Ziel der endzeitlichen Sammlung von ganz Israel wird auch in der symbolischen Einsetzung des Zwölferkreises verdeutlicht, der die für die Endzeit erwartete Wiederherstellung der zwölf Stämme (vgl. Jes 60, 4) präfiguriert. Erst über das endzeitlich wiederhergestellte Israel sollen dann in einem zweiten Schritt auch die Heiden gemäß den Verheißungen der «Völkerwallfahrt zum Zion» ( Jes 2, 2–5; 60, 3; Mi 4, 2f ) Anteil an der Erlösung erhalten (diesen Zweischritt belegen auch Röm 1, 16 und Apg 3, 26; 13, 46). Wenn man Jesus später als Gründergestalt des Christentums interpretierte, dann als konsequente Weiterführung seiner Deutung als «Urheber» (archēgos, Apg 3, 15; 5, 31; Hebr 2, 10; 12, 2) und «(Ur-)Grund ewigen Heiles» (Hebr 5, 9). In der Tat sah auch der historische Jesus seine Verkündigung als die eschatologisch bindende und ausschließlich heilsrelevante Interpretation des Gotteswillens an. Die Gewinnung des endzeitlichen Heils ist für Jesus an die unabdingbare Annahme seiner Botschaft vom unmittelbar bevorstehenden Gottesreich geknüpft. Dieses Selbstbewusstsein legte neben dem Osterereignis den Grundstein dazu, dass man Jesus später mit seiner Botschaft identifizieren und den Verkündiger zum Verkündigten machen konnte.

2. Die ersten Jünger und Jüngerinnen Jesu

Auch die ersten Jünger und Jüngerinnen Jesu intendierten keinen Bruch mit dem Judentum. Noch der späteren Apostelgeschichte ist es wichtig, die weitere Eingebundenheit der ersten Osterzeugen in das kultische Leben des Judentums zu unterstreichen: Die Jünger beten täglich im Tempel (Apg 2, 46; 5, 42), benützen diesen nach Apg 3, 1; 5, 20; 21, 26 als Hauptstätte der Verkündigung und halten die Ritualvorschriften (Apg 10, 14). Auch der jüdische Kalender wird in der Apostelgeschichte weiterhin benützt und jüdische Feste gehalten: das jüdische Pfingstfest («Hag ha-Schawuot», 2, 1), Pessach (12, 3f ), das Fest der Ungesäuerten Brote (20, 6) und das Jom-Kippur-Fasten (27, 9). Auch Paulus erwähnt das jüdische Pfingstfest in 1Kor 16, 8 und zählt die Bundesschlüsse zwischen Gott und Israel, die Gabe der Tora, den Tempelkult und die Heilsverheißungen an Israel zu den unwiderruflichen Heilsvorzügen des erwählten Volkes (Röm 9, 4). Auch das Lukas- und Matthäusevangelium halten mit den Worten, dass nicht ein einziges Jota oder Häkchen des Gesetzes verloren geht (Lk 16, 17/Mt 5, 18), an der ungebrochenen Gültigkeit der Tora fest.

3. «Synode von Javne»


Häufig ist zu lesen, dass es unter Gamaliel II. zwischen 80 und 90 n. Chr. eine «Synode von Javne» gegeben habe (auch Jabne oder Jamnia). Historisch fassbar ist lediglich, dass Jochanan ben Zakkai nach der Zerstörung Jerusalems (70 n. Chr.) in Javne führende Männer des Judentums um sich sammelte, und das Judentum bis zum Bar Kochba-Aufstand dort sein Zentrum hatte. Der späteren rabbinischen Überlieferung galt Jochanan ben Zakkai damit als Begründer des rabbinischen Judentums. Das Bemühen von Javne ist jedoch oft überschätzt worden, etwa wenn man von einer «Synode von Javne» liest, welche mit der birkat ha-minim (dem «Ketzersegen») eine Abgrenzung vom Christentum bewirkt habe. Die vermeintliche «Synode» ist allerdings eine Konstruktion von Heinrich Graetz (deutsch-jüdischer Historiker, 19. Jh.) und lässt sich nicht belegen. Ebenso problematisch ist die Annahme, dass die birkat ha-minim zur Trennung von Juden und Christen geführt habe. Der «Ketzersegen» ist eine Verfluchung von Glaubensabweichlern (minim), die in das Achtzehnbittengebet (schmone ‘esre) eingefügt wurde. Die Zuschreibung an Gamaliel II. ist jedoch eine spätere Tradition, auch waren mit den minim damals noch nicht die Christen gemeint. Judenchristen hätten sich von solch einer Verfluchung nicht betroffen gefühlt – verstanden sie sich doch als das «wahre Israel» und der «heilige Rest» (Röm 7, 11; 9, 6; Joh 1, 47). Obendrein hatten die damaligen Autoritäten in Javne auch gar nicht den Einfluss, solche Ausschlüsse mit bindender Verpflichtung durchzusetzen. Daher war der Text eher ein Akt der Selbstbestätigung im eigenen Glauben. Auch der Ausdruck aposynagōgos, «Synagogenausschluss» ( Joh 9, 22; 12, 42; 16, 2), kann nicht als förmliches Ausschlussverfahren gegen Judenchristen gewertet werden. Da dieser Ausdruck in der gesamten frühjüdischen Literatur ansonsten fehlt, handelt es sich um keinen terminus technicus, sondern um eine ad-hoc-Bildung des vierten Evangelisten. Darüber hinaus ist man gut beraten, diesen «Ausschluss» nur als eine lokal begrenzte Maßnahme zu interpretieren: Eine allumfassende Exkommunikation aller Christen durch alle Juden wäre eine anachronistische Annahme, da eine allgemein anerkannte Zentralinstanz im damaligen Judentum fehlte.

4. «Jüdische Christenverfolgungen» aufgrund des Christusglaubens?


Es erweist sich auch als problematisch, den «Christusglauben» für die Scheidung zwischen Juden und Christen verantwortlich zu machen. Pars pro multis soll hier die «Kleine Kirchengeschichte» (27. Auflage, 2014) zitiert werden:5

Besonders der Christusglaube führte den offenen Konflikt [sc. zwischen Juden und Christen] herbei, der sich in zwei stoßartigen Verfolgungen Luft machte: Die erste Welle führte zur Steinigung des Stephanus, zur Vertreibung der hellenistischen Judenchristen aus Jerusalem und zur weiteren Verfolgung durch Saulus […] Die zweite Verfolgungswelle, die König Herodes Agrippa I. (37–44) entfachte, führte im Jahre 42/43 zum Martertod des Apostels Jakobus’ des Älteren […] Der wachsende Hass [sc. der Juden gegen die Christen] führte um 100 zur offiziellen Verfluchung der Christen durch die Synagoge.

Abgesehen von den völlig verfehlten revisionistischen Tendenzen dieses Textes (nach dem Motto: «Die Juden haben mit dem Morden zuerst angefangen») enthält die Darstellung gleich drei Anachronismen:

Erstens ist die bereits genannte «offizielle Verfluchung der Christen durch die Synagoge» auf der «Synode von Javne» zu nennen.

Zweitens, die These, der Christusglaube habe zum Bruch mit der Synagoge geführt: Im Judentum gab es immer wieder Messiasprätendenten, denen ein mehr oder weniger großer Anteil der Bevölkerung Glauben schenkte. Am bekanntesten ist Schimon Ben Kosiba, der nach jTaan 4, 8/68d von Rabbi Aqiva als Messias proklamiert und dessen Name nach der Prophezeiung aus Num 24, 17 («Ein Stern geht auf in Jakob») zu Bar Kochba «Sternensohn» geändert wurde. Mit den Worten aus Num 24, 17 erwartete man in Qumran (CD VII,18–21) übrigens den eschatologischen Gesetzeslehrer und nach Mt 2, 2 den «neugeborenen König der Juden». Etliche andere Zeichenpropheten mit messianischen Anklängen werden von Flavius Josephus erwähnt, z.B. der auch in Apg 5, 36 erwähnte Theudas, der knapp nach Jesus unter Cuspius Fadus (44–46 n. Chr.) hingerichtet wurde (Ant 20, 97–99). In jüngerer Zeit wurde Menachem Mendel Schneerson (der «Lubavitcher Rebbe», † 1994), das langjährige Oberhaupt der chassidischen Chabad-Bewegung, von vielen seiner Anhänger als Messias gedeutet. Bis heute noch gibt es zu seiner Person starke Meinungsverschiedenheiten im Judentum, doch keinen Bruch aufgrund des Messiasbekenntnisses. [...]


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