archivierte Ausgabe 1/2021 |
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Herausgeber und Redaktion |
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JOACHIM HAKE Direktor der Katholische Akademie in Berlin e.V. |
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URSULA SCHUMACHER
Professorin für Dogmatik an der Universität Luzern |
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JAN-HEINER TÜCK Professor für dog-
matische Theologie, Universität Wien |
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Herausgeber und Redaktionsbeirat stellen sich vor. |
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Lesermeinung von |
Anton Svoboda,
Dipl.-Theologe, Musiker
Lesen Sie hier |
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Leseprobe 1 |
DOI: 10.14623/com.2021.1.4–21 |
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Magnus Lerch |
WENN OHNE GOTT NICHTS FEHLT |
Religiöse Indifferenz als Herausforderung systematischer Theologie |
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Die Auseinandersetzung mit Religionskritik und Atheismus gehört zum Standardrepertoire der Theologie. Keine rationale Verantwortung des Glaubens an Gott kommt heute ohne seriöse Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen der Bestreitung seiner Existenz aus. Schwieriger wird es, wo sowohl Affirmation als auch Bestreitung ausbleiben, die Frage nach Gott gar nicht mehr als sinnvoller Gegenstand einer Auseinandersetzung empfunden wird. So haben in einer in Leipzig durchgeführten Umfrage Jugendliche auf die Frage, ob sie eher atheistisch oder religiös eingestellt seien, geantwortet: «Weder noch, normal halt!». Diese Begebenheit macht anschaulich, was mit ‹religiöser Indifferenz› gemeint ist: nicht für oder gegen den Glauben an Gott zu sein, sondern mit ihm einfach ‹nichts anfangen› zu können.
Insbesondere Theologinnen und Theologen in Ostdeutschland – wo rund dreiviertel der Bevölkerung konfessionslos sind –, weisen darauf hin, dass das Phänomen religiöser Indifferenz eine besondere Herausforderung darstellt. Wie mit ihr theologisch umzugehen ist, ist noch weithin unklar. Noch 2008 hat Eberhard Tiefensee betont, dass «das Phänomen Areligiosität immer noch unterhalb der Wahrnehmungsschwelle einer konfessionell geprägten Kultur zu liegen [scheint], selbst wenn diese inzwischen eigentlich stark säkularisiert ist». Jüngst ist die Erfurter Dogmatikerin Julia Knop dem Phänomen in einigen grundlegenden Publikationen nachgegangen. Sie beschreibt es wie folgt:
Anders als den sogenannten ‹frommen Atheisten› der älteren Generation fehlt dem ‹homo areligiosus› unserer Tage nichts ohne Gott. Ihm ist ‹Gott› kein ‹Sehnsuchtswort›. Glaube sagt ihm nichts; er muss nicht einmal dagegen sein. Die Gottesfrage ist ihm keines Streites wert, weil sie ihm keine Frage ist. Der Widersinn der Welt treibt ihn nicht zur Gottesklage; unsensibel oder abgestumpft gegenüber Leid, Schuld und Tod ist er deshalb nicht. Eine religiöse Lesart der Welt erscheint ihm weder erstrebensnoch bekämpfenswert. Er braucht keine weltanschaulich-atheistische Lobby, keine pointierte Abgrenzung von Kirche und Religion und keinen funktionalen Religionsersatz.
Nicht mehr nur die Existenz Gottes ist fraglich geworden – sondern bereits die Frage nach Gott. Diesen letztgenannten Aspekt, dies zeigt Knop an mehreren Stellen, hat die systematisch-theologische Disziplin – also diejenige, die in besonderer Weise die Rationalität und universale Relevanz des Glaubens an Gott vertreten sollte – noch kaum hinreichend bearbeitet.
Bei einer solchen Bearbeitung – das macht die Sachlage komplexer – stößt man unweigerlich auf die Gretchenfrage ‹Wie hältst Du es mit der säkularen Moderne?›. Ob Säkularität als erlittene, nur notdürftig zu akzeptierende Situation, als zu überwindendes Übel oder als zu bejahender Freiheitsraum gesehen wird, wird die Einschätzung des hier infrage stehenden Phänomens sowie die theologisch verfolgten Optionen mitbedingen. Ungeachtet dieser Komplexität dürfte aber eines klar sein: Der Relevanzverlust der Gottesfrage ist keine vorübergehende Erscheinung, sondern gehört bleibend zu den ‹Zeichen der Zeit›, die theologische Reflexion und Verkündigung nicht überspringen können.
Hier soll zunächst das Phänomen religiöser Indifferenz religionssoziologisch eingeordnet werden (1). Wie lassen sich Rationalität und Relevanz der Gottesfrage für den Menschen aufzeigen? Diese Frage ist in der Theologie des 20. Jahrhunderts unterschiedlich beantwortet worden. Ich möchte dies exemplarisch an den Ortsverschiebungen der sog. ‹natürlichen Theologie› zwischen dem I. und dem II. Vatikanum deutlich machen. Die hier hervortretenden Optionen werden mit dem Phänomen religiöser Indifferenz konfrontiert und in ihrer Reichweite diskutiert. Dabei wird sich zeigen, dass die fundamentale Herausforderung darin besteht, einerseits die universale Vernünftigkeit und Relevanz der Gottesfrage aufzuweisen, dies aber so, dass andererseits die Kontingenz ihrer geschichtlichen Vermittlung beachtet wird, auf die man bereits in den empirischen und religionssoziologischen Befunden (1) stößt. Diese Spannung – die Gottesfrage muss prinzipiell jeden Menschen betreffen können und ist zugleich abhängig von individuellen und soziokulturellen Faktoren – ist nicht aufzulösen. Daher plädiere ich schließlich für eine universalistische, aber kontingenzsensible Glaubensverantwortung (3). Damit geht ein konkreter Vorschlag einher, wie die Gottesfrage so zugänglich werden kann, dass ihre säkularen Bedingungen nicht nur nicht übersprungen, sondern affirmiert werden.
1. Religiöse Indifferenz als Beleg der Säkularisierungstheorie? Zur religionssozio logischen Einordnung
Es könnte nahe liegen, religiöse Indifferenz als Beleg dafür zu sehen, dass die klassische Säkularisierungs- und Modernisierungstheorie zutrifft. Deren Grundprämisse lautet: Verschiedene Gesellschaften werden im Zuge ihrer Modernisierung letztlich konvergieren in den Prozessen der Demokratisierung, ökonomischen Liberalisierung, der Etablierung von Rechtstaatlichkeit und wissenschaftlicher Rationalisierung. Mit der Anhebung von Wohlstand und Sicherheit werden Religionen sukzessive zurückgehen, in den Bereich des ‹Privaten› abgedrängt werden. Hier wiederum wird ihr Fortbestand immer fragiler bis hin zum völligen Verschwinden, wofür die religiöse Indifferenz gerade ein Indiz sein könnte.
Diese These ist jedoch seit Längerem nicht unumstritten, und zwar aus mindestens drei grundsätzlichen Gründen. Erstens scheint die Gleichsetzung von Modernisierung und Säkularisierung schon empirisch nicht aufzugehen. In einem hochmodernisierten Land wie den USA ist die Religiosität der Bevölkerung stark ausgeprägt, ebenso in vielen Ländern in Asien und Lateinamerika, wo wissenschaftlicher und technischer Fortschritt nicht zwangsläufig mit dem Verschwinden religiöser Deutungsmuster einhergeht. Zweitens trifft überhaupt die unterstellte Einheitlichkeit von Modernisierungsprozessen nicht zu, sondern wird als eurozentrische Verengung kritisiert, die die hiervon abweichende Modernität der asiatischen Tigerstaaten sowie Chinas, Indiens und Brasiliens nicht in den Blick bekommt. Damit ist bereits, drittens, das Problem des normativen Modernebegriffs sowie seiner linear-teleologischen Struktur angesprochen. Wo Modernisierung einerseits mit sukzessivem Fortschritt gleichgesetzt wird und andererseits notwendig zur Säkularisierung führt, ergibt sich die Gleichung: Eine Gesellschaft ist umso fortschrittlicher, je säkularer sie ist. [...]
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