archivierte Ausgabe 1/2021 |
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Herausgeber und Redaktion |
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JOACHIM HAKE Direktor der Katholische Akademie in Berlin e.V. |
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URSULA SCHUMACHER
Professorin für Dogmatik an der Universität Luzern |
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JAN-HEINER TÜCK Professor für dog-
matische Theologie, Universität Wien |
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Herausgeber und Redaktionsbeirat stellen sich vor. |
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Lesermeinung von |
Anton Svoboda,
Dipl.-Theologe, Musiker
Lesen Sie hier |
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Leseprobe 2 |
DOI: 10.14623/com.2021.1.22–36 |
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Johannes Grössl / Matthias Remenyi |
GLÜCKLICHES SCHEITERN |
Über Grenze und Größe der Gottesbeweise |
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1. Sachstand, Begrifflichkeit und eine erste These
Gottesbeweise polarisieren, ihre Erfolgs- und Nutzeneinschätzungen gehen weit auseinander. Dabei scheint die entsprechende Diskurslandschaft grob in zwei Lager aufgeteilt. Während hierzulande in Theologie und Religionsphilosophie der Sinn und Erfolg des Unternehmens ‹Gottesbeweise› tendenziell eher kritisch gesehen wird, erfreut es sich seit über 50 Jahren im angelsächsischen, zumeist eher analytisch geprägten Sprachraum ungebrochener Beliebtheit und bringt eine Vielzahl höchst differenter und sehr ernstzunehmender Literatur hervor. Das mag an den unterschiedlichen, historisch gewordenen Diskurskonstellationen liegen, die v. a. in der deutschsprachigen Theologie stark von Kants Subjektphilosophie, Heideggers Kritik an der von ihm so genannten Onto-Theologie, Wittgensteins linguistischer Wende und der französischen Phänomenologie geprägt sind. All das führt oft zu dem – unseres Erachtens irrigen – (Vor-)Urteil, dass Gottesbeweise ein nutzloses, weil schon im Grundsatz verfehltes Programm einer vorkritischen Metaphysik seien, die sich im Überspringen ihrer eigenen Kontingenz und Denkformgebundenheit anheischig mache, gewissermaßen aus der Perspektive Gottes heraus Sachurteile über die Welt und Wirklichkeit im Ganzen und den sie tragenden, absoluten Grund treffen zu können.
Saskia Wendel etwa gibt im Anschluss an Kant zu bedenken: «Für die theoretische Vernunft ist die Gotteserkenntnis unmöglich, verstrickt sie sich doch in transzendentale Illusion und spekulativen Dogmatismus, wenn sie die Existenz Gottes zu beweisen sucht, weil die Erkenntnis Gottes den Bereich möglicher Erfahrung sprengt.»1 Das bedeutet für sie natürlich nicht, dass das Nachdenken über Gott und seine Existenz dem bloß irrationalen Meinen anheimgegeben wird, wohl aber, dass die Gottesfrage analog dem moralischen Argument Kants aus dem Feld der theoretischen in die praktische Vernunft verlagert wird. Auf ähnliche Weise streicht Klaus von Stosch ebenfalls in der Spur Kants, aber auch Wittgensteins die existentiell-pragmatische Seite des Gottesglaubens heraus und argumentiert: «Da Gott nach dem christlichen Zeugnis allein mit den Mitteln der Liebe versucht, uns für ihn zu gewinnen, ist der Versuch eines Beweises seiner Existenz von vornherein inadäquat», weil ein solcher Versuch, wie es unmittelbar weiter heißt, «den Glauben von einem Akt der Liebe in einen des Wissens umwandeln» würde.2
Freilich sollte bereits in diesem allerersten Zugriff zu denken geben, dass selbst ein erklärter Kritiker der Gottesbeweise wie Klaus von Stosch zugesteht, dass zumindest der anselmische Gottesbegriff – das sogenannte ontologische Argument also – «unsere begriffliche Rückfrage nach Gott kriterial orientieren und regulierend leiten» kann.3 Wir wollen im Folgenden diesen Faden aufnehmen, dabei aber aus genau diesem Grund mit Nachdruck für die denkerische Beschäftigung mit den klassischen Gottesbeweisen werben. Sie werden, so eine erste leitende These, auch durch die transzendentale oder sprachpragmatische Wende der Theologie nicht per se ins Unrecht gesetzt, sondern sind unverzichtbar für die begriffliche Zuschärfung unserer Rede von Gott und infolgedessen für die Klärung des Gegenstandsfelds der Theologie überhaupt. Daher sind sie von großer Bedeutung für die Wissenschaftlichkeit der Theologie. Thomas Schärtl macht zu Recht auf die intime Passung der Gottesbeweise zum Anspruch theologischer Rede auf Wissenschaftlichkeit aufmerksam, die in der Verpflichtung aller Wissenschaft, auch der theologischen, zu begrifflicher Klarheit liege und die auch dann nicht obsolet werde, wenn Gottesbeweise schlussendlich nicht gelängen: «Gottesbeweise sind aufs engste mit dem Wissenschaftscharakter der Theologie verflochten».4 Auch dann nämlich, wenn der Anspruch auf Beweisbarkeit der Existenz Gottes letztlich scheitern sollte, bietet das damit verbundene argumentative Verfahren wichtige Einsichten in den Begriffsgehalt dessen, was mit dem Term Gott ins Wort gebracht werden soll, sowie in die Modalitäten und – vielleicht das Wichtigste – in die Limitationen seines Gebrauchs. So liefert es außerdem eine wichtige Orientierung nicht nur im gläubigen Weltverstehen, weil es hilft, das Gott-Welt-Verhältnis denkerisch besser zu erschließen, sondern zugleich in der intellektuellen Verantwortung des je individuellen Glaubensaktes. Die unter dem Stichwort Gottesbeweise verhandelten Argumente begründen also nicht den Glauben, helfen ihn aber denkerisch zu durchklären und so vor dem Forum der autonomen Vernunft zu verantworten. Ihre Bedeutung liegt in der intellektuellen Rechenschaftspflicht und (so hat es Klaus Müller einmal treffend genannt) «kommunikative[n] Redlichkeit »5 der Theologie – ad intra und ad extra.
Was also heißt in diesem Zusammenhang schon Scheitern? Wenn Gottesbeweise scheitern, dann ist es ganz zweifellos ein glückliches, weil heuristisch zuhöchst ertragreiches Scheitern. Vor allem aber wird das Urteil über Scheitern oder Nichtscheitern davon abhängen, welche Traglast man dem Beweisverfahren zumisst. Der gerade erwähnte Klaus Müller hat seit den frühen 2000er-Jahren in verschiedenen Publikationen immer wieder darauf hingewiesen, dass zwischen einem eher weiten und einem begrifflich engen Verständnis von Beweisbarkeit zu unterscheiden ist. Im engeren Sinn meint ein Beweis ein gültiges Schlussverfahren, bei dem aus wahren Prämissen oder zumindest aus als wahr angenommenen Axiomen in einem logisch korrekten Deduktionsverfahren auf eine Konklusion – in unserem Fall: die Existenz eines göttlichen Wesens – geschlossen wird. Hierbei hängt alles Gewicht nicht nur an der logisch fehlerfreien Schlussfolgerung, sondern vor allem an der Wahrheit der Prämissen. Weil aber bei allen bekannten Gottesbeweisen die jeweils zugrundeliegenden Prämissen bezweifelbar sind und faktisch auch bezweifelt wurden, gelten für die meisten Autorinnen und Autoren die Gottesbeweise in diesem engeren, strengen Wortsinn als gescheitert.6
Versteht man allerdings in einem weiter gefassten Sinn unter einem Beweis die argumentativ strenge Begründung einer Behauptung, ist das Rennen um Gelingen und Scheitern der Gottesbeweise durchaus als offen zu bezeichnen. Dabei geht es um mehr als nur – wie oft zu lesen steht – um einen Sinnaufweis, einen Appell oder ähnliches. Schon historisch dürfte es zu kurz greifen, aus den identifikatorischen Schlusssätzen der quinque viae des Thomas («…und das nennen alle Gott») oder der Einbettung des ontologischen Arguments bei Anselm in einen Gebetsrahmen auf einen nur verminderten Begründungsanspruch zu schließen. Nein, damals wie heute geht es durchaus um die begriffliche Entfaltung der Erkenntnisgründe für die Existenz Gottes.7 Alvin Plantinga, der selbst eine Version des ontologischen Arguments vorgelegt hat, gesteht daher in genau diesem Sinne zwar zu, dass es nicht die Aufgabe von Gottesbeweisen sei, die Konklusion voraussetzungsfrei zu beweisen, dass es aber sehr wohl darum gehen müsse, aufgrund von wenigstens plausiblen Prämissen und einer logisch gültigen Argumentation zu zeigen, dass der Theismus rational akzeptabel sei.8
2. Zwischenschritt: eine zweite These
Zur Vermeidung etwaiger Missverständnisse bezüglich der epistemischen Leistungskraft der klassischen Gottesbeweise sollte man daher besser auf den Beweisbegriff verzichten und stattdessen von Argumenten oder Begründungen für die Existenz Gottes sprechen9; vor allem aber sollte man in Erinnerung rufen, dass es nicht darum geht, den Akt gläubigen Sich-Anvertrauens an Gott irgendjemandem andemonstrieren zu wollen, sondern ihn post factum zu reflektieren. Gottesbeweise – um dieses Wort ein letztes Mal zu gebrauchen – können auf diese Weise den Glauben bestärken und vertiefen. Nur in seltenen Fällen werden sie auch Menschen den Glauben als gangbare Möglichkeit eröffnen. In jedem Fall aber sind sie Fundamentalismus- und Fideismusblocker.10
Im Folgenden werden wir nun, um den genannten Anspruch gleichwohl wenigstens anfanghaft auch einzuholen, ein überaus bekanntes und ein vielleicht weniger bekanntes Argument für die Existenz Gottes diskutieren: das ontologische Argument, das vom Begriff auf die Existenz Gottes schließt, und das alethologische Argument, das von der Wahrheitsfähigkeit der Sprache auf die Existenz Gottes als wahrheitsverbürgender Instanz schließt. Es geht uns dabei nicht um eine detaillierte Prüfung der einzelnen Argumentschritte und ihrer jeweiligen Prämissen. Das ist in dem hier zur Verfügung stehenden Rahmen nicht möglich. Aber wir werden jeweils einige Argumentvarianten vorstellen und auf den theologischen Gewinn der beiden Argumentfiguren sowie auf ihre enge Verbindung untereinander aufmerksam machen. Uns leitet dabei die – zweite – These (neben der ersten, die oben auf die prinzipielle theologische Unverzichtbarkeit dieser Klasse von Argumenten abhob), dass die Schlüssigkeit des ontologischen Arguments die des alethologischen impliziert. Das heißt: Wer an dem Begriff Gottes als dasjenige, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, festhalten und damit die Existenz dieses Gottes rational plausibilisieren will, muss einen Wahrheitsbegriff vertreten, der mit einer zumindest prinzipiellen Erreichbarkeit des Seins durch die Sprache rechnet. Mit anderen Worten: Wer das ontologische Argument verteidigen will, braucht dazu zumindest im Grundsatz einen starken, korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriff, der zunächst als denknotwendige Voraussetzung zu postulieren und sodann transzendentalpragmatisch zu bewähren ist.
Damit sind weder konsensuale oder kohärentistische Verfahren als kriteriologischer Maßstab einer jeweiligen Wahrheitsnäherung ausgeschlossen, noch wird damit vorschnell Kants Kritik am ontologischen Argument, hier würde unberechtigterweise vom Denken auf das Sein geschlossen, außer Kraft gesetzt. Es kann ja sein, dass sowohl das ontologische als auch das alethologische Argument scheitern, weil unsere transzendentalen Verfahren und retorsiven Argumentstrukturen ins Leere gehen und unseren Verstandesbegriffen kein externer Gehalt entspricht. Vielleicht bleibt uns tatsächlich nur die nackte, vollkommen leere und rein formale Gewissheit des cartesischen cogito ergo sum. Bildlich gesprochen: Vielleicht sind wir wie Träumende, die nur träumen, dass sie aufwachen;11 sie wissen zwar auch im Traum zweifelsfrei, dass sie sind, aber nicht, dass sie Träumende sind. Es kann also sein, dass unser Verstand uns narrt und uns eine Verlässlichkeit vorgaukelt, die sich als Schein entpuppt. Dann allerdings folgte im besten Fall die Ethik des Absurden von Camus,12 im schlimmsten der verzweifelte Nihilismus Nietzsches; beide Male jedenfalls mit bitteren Konsequenzen für unsere Selbst- und Wirklichkeitswahrnehmung und für unser Weltvertrauen.
Wir erheben mit dieser zweiten, das Folgende leitenden These ebenso wenig Anspruch auf Originalität wie mit der ersten (wie überhaupt der Anspruch auf Originalität zumeist nur Ausdruck mangelnder Quellenkenntnis ist). Bereits Bonaventura hat das ontologische Argument des Anselm von Canterbury mit Verweis auf das alethologische Argument verteidigt: Die Wahrheit des Satzes, dass Gottes Wesensbegriff seinen Existenzaufweis notwendigerweise mit enthält, lasse sich nur unter Inanspruchnahme jener ersten, absoluten und unbedingten Wahrheit denken, die Gott selber ist. Wörtlich schreibt er mit Bezugnahme auf Augustinus, der als Urvater des alethologischen Arguments gilt: Dass «also Gott ist, ist nicht nur unzweifelhaft wahr, sondern auch so (wahr), dass über es hinaus nichts Unzweifelbareres gedacht werden kann; also ist ein solches Wahres, von dem nicht gedacht werden kann, dass es nicht ist».13 Und einige Zeilen weiter notiert er sodann: «Wenn Gott Gott ist, ist Gott; doch die (hier vorausgesetzte) Bedingung ist so sehr wahr, dass von ihr nicht gedacht werden kann, dass sie nicht (gegeben) ist; somit ist es unzweifelhaft wahr, dass Gott ist.»14 Wir wollen im Folgenden dieser engen Verbindung von ontologischem und alethologischem Argument noch ein wenig weiter nachgehen und sie auf ihre Konsequenzen für die theologische Theoriebildung befragen.
3. Das ontologische Argument: Anselm von Canterbury
Das ontologische Argument Anselms von Canterbury beruht auf (mindestens) zwei unhinterfragten Prämissen, die es, wird es als strenger Beweis verstanden, kritisierbar machen. Die eine Prämisse besagt, dass der Begriff Gottes unzweifelhaft gewiss und prinzipiell jedem, selbst dem Toren, der in seinem Herzen sagt, es sei kein Gott, zugänglich ist: dasjenige eben, «worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann» – aliquid, quo maius nihil cogitari potest bzw. id, quo maius cogitari nequit.15 Doch hat bereits kein Geringerer als Thomas von Aquin bestritten, dass der Begriff Gottes aus sich selbst heraus für unser Erkennen evident sei; die Vorstellungen über Gottes Wesen gingen bekanntlich weit auseinander. Die zweite, dem platonisierenden Weltbildhorizont Anselms entlehnte Prämisse lautet, dass wirkliches Sein «größer» – besser, mehr, vollkommener – als nur begrifflich vorgestelltes, gedachtes und mögliches Sein sei. Ein bereits gemaltes, wirklich existierendes Bild, so Anselms durchaus inhaltstiefes Beispiel, sei größer und vollkommener als ein vom Künstler zwar geplantes und erdachtes, aber noch nicht realisiertes. Also, so Anselms Konklusion, folge aus dem Begriff Gottes als des schlechthin vollkommenen Wesens notwendigerweise seine Existenz.16 Auch hier war es neben Anselms Zeitgenosse und Widerpart Gaunilo bereits wiederum Thomas, der darauf insistierte, dass aus dem anselmischen Gottesbegriff lediglich folge, dass er «sich in unserem Denken findet».17 Bekannter freilich wurde dann die – allerdings nicht gegen Anselm, sondern gegen Descartes’ Version des ontologischen Arguments gewendete – These Kants, dass sich mitnichten vom Begriff auf die Existenz Gottes schließen lasse, weil Sein kein reales Prädikat und der Satz: «Gott existiert» mithin ein bloß analytischer und kein synthetischer Satz sei, bei dem das an der Prädikatsstelle Gesetzte dem Subjektbegriff selbst etwas Neues hinzufüge. Das illustriert er dann anhand jener fast schon legendär gewordenen – dem Begriff nach immer gleichen, ob real existierend oder nicht – 100 Taler, die seither in keinem Lehrbuch zum Thema fehlen dürfen.18
Was ist also ist mit Anselms ontologischem Argument gewonnen? Gewonnen ist die Erkenntnis, dass der Gottesbegriff keine Entität anzeigt, die sich nur in quantitativer Hinsicht von anderen, innerweltlichen Entitäten unterscheidet. Mit großem Bedacht nämlich spricht Anselm gerade nicht vom denkbar Größten, sondern von dem, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann. Es geht ihm also gerade nicht um einen zumindest denkerisch erreichbaren Superlativ, dessen Gehalt sich im Vergleich mit anderen – dann endlichen – Wirklichkeiten entsprechend dem Grad an Ähnlichkeit mit bzw. dem Maß an Überbietung zu diesen bestimmen ließe. Gaunilo hingegen reformuliert Anselms Argument konsequent (und der hier vorgelegten Interpretation nach konsequent falsch) als einen solchen Superlativ: Gott sei «größer als alles», maius omnibus.19 Darin liegt das entscheidende Missverständnis auch in Gaunilos Gegenbeispiel der vortrefflichsten, aber leider verlorengegangenen Insel. Hansjürgen Verweyen, dessen Interpretation des ontologischen Arguments wir hier in weiten Teilen folgen, illustriert das anhand des absoluten, weil rein quantitativ nicht überbrückbaren Unterschieds zwischen einem unendlichen Vieleck und dem idealen Kreis bzw. zwischen einer beliebig teilbaren, unendlich sich verkürzenden Linie und dem idealen Punkt. Gott, so nochmals Verweyen, ist nicht einfach nur das ‹x› in der Gleichung ‹x = n + 1› unseres unablässigen, perennierenden Strebens nach einem Mehr.20 So lautet für ihn die «entscheidende Einsicht», die Anselms Argument vermittelt, «dass innerhalb des ‹unendlichen Progresses› menschlichen Transzendierens Gott überhaupt nicht in den Blick kommt».21 Gewonnen ist folglich die Einsicht in die strenge Singularität des Gottesbegriffs. Das hat z. B. Konsequenzen für die Frage nach dem Personsein Gottes. Folgt man nämlich Anselms Gedankengang, so wird es schwer, Gott in einem in jeder Hinsicht univoken Wortsinn Personalität zuzusprechen, wie es etwa in manchen Spielarten des sog. open theism, aber auch der deutschen Transzendentaltheologie geschieht. Vielmehr liegt es dann näher, bei der Verwendung der Personkategorie auf das Analogieprinzip zu verweisen, das entsprechend dem IV. Lateranense alle Begriffsähnlichkeit von einer je größeren Unähnlichkeit umgriffen sieht (DH 806).
Eigentlich ergibt sich schon aus der Erkenntnis der Singularität dieses Grenz- und Abschlussgedankens der endlichen Vernunft dessen transzendentallogische Notwendigkeit. Insofern folgt Proslogion III, wo Anselm über die faktische hinaus auch auf die notwendige Existenz Gottes schließt, stimmig aus Proslogion II: «So wahrhaft existiert also etwas, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, dass sein Nicht-Sein nicht einmal gedacht werden kann.»22 Auch dies ist eine keinesfalls triviale Erkenntnis: Wer wirklich Gott denken will, kann Gott nur als unbedingt notwendig existierend denken. Wenn Gott Gott ist, ist Gott – so sagten wir oben mit Bonaventura. Wenn Gott Gott ist, so ließe sich nun ergänzen, ist Gott notwendig und unbedingt. Nimmt man diese Singularität wirklich ernst, lässt sich von hier auch die Unumstößlichkeit des kantischen Verdikts anfragen: Ist es wirklich so unplausibel, mit Blick auf diesen einzigartigen Gedanken, den wir mit dem Wort ‹Gott› zum Ausdruck bringen, den Schluss vom Denken auf das Sein zuzulassen und ihm also notwendige Existenz zuzuschreiben? Und ist es nicht auch so, dass wir zumindest im cartesischen cogito ergo sum ein weiteres, nun subjektphilosophisch grundiertes Beispiel eines Grenzbegriffs finden, bei dem wir (ebenfalls) bereit sind, vom Denken auf die Existenz zu schließen?23 Letztlich ergibt sich aus dem ontologischen Argument ein Plädoyer gegen eine nominalistische Gott-Welt-Relationierung, und es ist ganz gewiss kein Zufall, dass Wilhelm von Ockham zu den Kritikern des anselmischen Gedankens zählt.
Gewonnen ist schließlich die Erkenntnis, dass das ontologische Argument insgesamt weniger einen spezifischen Begriff anzeigen, sondern eine transzendentale Fundierungsrelation zum Ausdruck bringen will; den Abschluss einer Denkbewegung nämlich, die notwendigerweise zu einem Absoluten, Unbedingten und in sich schlechthin Vollkommenen fortschreiten muss, wenn sie sich denn überhaupt auf diese das Endliche transzendierende Bewegung des Denkens einlassen will. Lässt man sich jedoch einmal auf diese Denkbewegung ein, muss man anerkennen, dass die hier in Rede stehende Unendlichkeit von anderer Art als die uns erreichbare (mit Hegel gesprochen) schlechte, weil nur perennierende Unendlichkeit ist, dass die genannte transzendentale Fundierungsrelation also nicht durch einen nicht endenden, ins Unabsehbare weiterlaufenden quantitativen Näherungsprozess zu erreichen ist, sondern nur durch ein nochmaliges Transzendieren auch unserer transzendentallogischen Operationen. Um Anselm von Canterbury ein letztes Mal selbst zu zitieren: «Herr, du bist also nicht nur, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, sondern du bist ein Größeres als gedacht werden kann. Etwas Derartiges kann nämlich gedacht werden».24 Gott ist größer als gedacht werden kann. Aber dieses, dass er größer ist als gedacht werden kann, das allerdings lässt sich denken. Gewonnen ist somit die Einsicht in die Grenze unserer Möglichkeit, Gott zu denken – und in die Einsicht, dass diese Grenze ihrerseits denkbar ist, weil Gott selbst als der transzendente Grund unserer Wirklichkeit zugleich die transzendentale Bedingung der Möglichkeit unseres Sprechens von dieser Wirklichkeit ist.
4. Charles Hartshornes Reformulierung des ontologischen Arguments
Mit der letzten Bemerkung haben wir eigentlich schon zum Schlussabschnitt unseres kleinen Essays übergeleitet, in dem es um das alethologische Argument gehen soll. Zuvor allerdings sei noch auf eine Spielart des anselmischen Arguments hingewiesen, die uns mit Blick auf unsere zweite These hilfreich erscheint. In der englischsprachigen Religionsphilosophie wurde das ontologische Argument nicht nur durch Alvin Plantinga, sondern auch durch Charles Hartshorne, prominenter Begründer der Prozesstheologie, in einer solchen neuen Formulierung verteidigt. Weil Hartshorne, wie bereits vor ihm der Mathematiker Kurt Gödel, zu diesem Zweck neben der Prädikatenlogik auch mit modalen Operatoren (unmöglich, möglich, notwendig) arbeitet, spricht man hier gelegentlich vom modalen Gottesbeweis. Hartshornes in verschiedenen Schriften entwickeltes Argument lässt sich wie folgt zusammenfassen: (1) Erste Prämisse: Es ist möglich, dass Gott existiert. (2) Zweite Prämisse: Entweder ist es unmöglich, dass Gott existiert, oder es ist notwendig, dass Gott existiert. (3) Folgerung aus der zweiten Prämisse: Wenn es möglich ist, dass Gott existiert, existiert Gott notwendigerweise. (4) Konklusion: Gott existiert notwendigerweise. 25 Wie bei der Zurückweisung von Anselms Argument lautet entsprechend auch hier eine gängige Kritik, dass Hartshorne logische (d. h. rein begriffliche) und ontologische (d. h. seinshaft-reale) Möglichkeit verwechsle. Manche meinen sogar, mit derselben formalen Argumentstruktur könne man, da auch Gottes Nichtexistenz als Möglichkeit gedacht werden könne (dann lautete Prämisse 1*: Es ist möglich, dass Gott nicht existiert), ebenso ein gültiges Argument für die notwendige Nichtexistenz Gottes formulieren.26
Doch Hartshornes Gedankengang ist komplexer. Er argumentiert in The Logic of Perfection dafür, dass Gottes Nichtexistenz nicht gedacht werden kann. Seine Begründung: Das Denken der Nichtexistenz würde einen sinnvollen, konsistenten Gottesbegriff voraussetzen, der dann eben zu leugnen wäre. Ein solcher Begriff aber ginge mit dem Postulat der möglichen Existenz eines solchen Wesens einher, woraus auf Basis des ontologischen Argumentes jedoch wiederum die notwendige Existenz Gottes folgen würde. Die einzige Möglichkeit, Gottes Existenz abzulehnen, sei folglich zu bestreiten, dass der Gottesbegriff überhaupt sinnvoll erfasst werden könne. Deshalb gilt für Charles Hartshorne: Entweder ist der Begriff ‹Gott› ohne kohärente Bedeutung, oder das Göttliche (divinity) existiert notwendigerweise.27
Es ist gewiss kein Zufall, dass dieser Gedankengang stark an Anselms Argument für die schlechthinnige Notwendigkeit der Existenz Gottes in Proslogion III erinnert. Vor allem aber zweifelt Hartshorne im Gegensatz zu Kant und anderen Kritikern des ontologischen Arguments an der Aussichtslosigkeit, im Fall der Existenz Gottes von der logischen auf die ontologische Möglichkeit zu schließen: «I question the validity of an ultimate distinction between logical and real possibility.»28 Seine Begründung leitet uns unmittelbar zum alethologischen Argument: Gott wird nämlich von Hartshorne definiert als «the ground of possibility itself».29 Gott selbst ist Grund und Bedingung einer jeden Möglichkeit überhaupt, und also auch die Bedingung der Möglichkeit dafür, dass es überhaupt eine Differenz zwischen logisch-begrifflicher und seinshaftrealer Möglichkeit geben kann.30
Dass es nun diese Differenz gibt, basiert erstens darauf, dass die Welt auch anders sein könnte, wie sie ist, und zweitens darauf, dass das, was unser Denken als logisch möglich oder unmöglich erkennt, auch tatsächlich logisch möglich oder unmöglich ist. Die entscheidende Frage ist also, was wir dem menschlichen Geist zutrauen: Sind unsere Erkenntniskategorien, zu denen auch die Kategorie der Modalität gehört, rein subjektiv, oder lassen sich mithilfe dieser Kategorien (selbstverständlich vorläufige und fehlbare) Erkenntnisse über die Wirklichkeit an sich gewinnen?31 Die gesamte Debatte um die Erkennbarkeit des kantischen Dings an sich dreht sich um diese zentrale Frage. Wenn Hartshorne (ähnlich wie später auch Alvin Plantinga) die Schlüssigkeit seines modalen Argumentes damit begründet, dass Gott definiert wird als Grund der logischen (begrifflichen) – und davon abgeleitet dann auch der ontologischen (seinshaft-realen) – Möglichkeit, dann setzt er damit einen ganz bestimmten, transzendentalen Gottesbegriff in Gebrauch: Gott wird als Bedingung der Möglichkeit eines Denkens verstanden, das auf die Wirklichkeit ausgreifen kann. Eben das aber bezeichnet man für gewöhnlich als alethologisches Argument.
5. Das alethologische Argument
Die klassische Struktur des alethologischen Arguments hat Augustinus in seiner Schrift über den freien Willen De libero arbitrio vorgelegt. Er geht – weit über ein Jahrtausend vor Descartes! – von der Irrtumslosigkeit der Selbstgewissheit des denkenden Ichs aus und schließt von da ausgehend nicht nur auf die Existenz, sondern auch auf die prinzipielle Wahrheitsfähigkeit der endlichen Vernunft, die sich selbst, aber auch das von ihr Implizierte erfasse. Da die Wahrheit, die der Vernunft in ihren Operationen aufleuchte, den je individuellen Erkenntnisakt übersteige und etwas Ewiges und Unwandelbares zum Ausdruck bringe, sei sie der Vernunft übergeordnet. Im Erkennen der Wahrheit also erkennt die Vernunft das Ewige und Unwandelbare, so Augustins zentrale These, die er mit Blick auf die theoretische Vernunft anhand der zeitenthobenen und immer gültigen Zahlwerte und mit Blick auf die praktische Vernunft anhand der trotz wechselnder Umstände in sich unwandelbar bleibenden Weisheit exemplifiziert: «Du wirst deshalb keinesfalls leugnen, dass es eine unwandelbare Wahrheit gibt, die all das in sich schließt, was unwandelbar wahr ist, die weder dein noch mein noch irgendeines Menschen Eigentum heißen kann, sondern allen das unwandelbare Wahre Erblickenden als wundersam geheimes und doch jedermann zugängliches Licht gegenwärtig ist und sich kundtut.»32 Nach ihrem Maß urteilen wir, so Augustinus weiter, auch über unseren Geist, während wir über die Wahrheit selbst gerade nicht urteilen können, sondern uns ihrem Urteil beugen müssen. Sie sei also in jedem Fall erhabener als unser Geist und unsere Vernunft – und gelte folglich als unser Gott: «Denn wenn es etwas noch Erhabeneres gibt, so ist eben dieses Gott, wenn aber nicht, dann ist die Wahrheit selber Gott».33
Dem naheliegenden Vorwurf der Hypostasierung oder Reifizierung der Wahrheit als eines formalen Erkenntnisprinzips lasse sich, so Josef Schmidt, dem wir hier folgen, nur entgehen, wenn man anerkenne, dass «die höchste Vernunft als Maß unseres Vernunftvollzugs nicht dessen Produkt sein kann». Dann aber sei hier bei Augustinus durchaus ein «Vorgriff auf den ontologischen Gottesbeweis»34 erkennbar – denn diese höchste und zugleich reale Vernunft sei uns zwar innerlich, aber eben doch von uns verschieden.
Ende des 20. Jahrhunderts hat Hans Jonas das alethologische Argument nochmals aufgegriffen. Sein Ansatzpunkt liegt in der Frage nach der Wahrheit des Gewesenen: Wie lässt sich von etwas Vergangenem sagen, dass es so und nicht anders gewesen sei? Und wie lässt sich über diese Tatsachenbehauptung – so ist es gewesen! – ein Wahrheitsurteil treffen?35 Das Vergangene ist ja nicht mehr. Es ist unwiderruflich vergangen. Was also vermag die «Präsenz des Gewesenen »36 zu verbürgen? Das menschliche Gedächtnis als wahrheitsverbürgender Instanz ist dabei nur von bedingtem Wert, denn unsere Erinnerungen verblassen und können irren. Doch selbst wenn es einer totalitären Diktatur gelänge, eine unliebsame Geschichtstatsache durch Geschichtsklitterung aus dem kollektiven Gedächtnis zu tilgen, so würde sie zwar die Erinnerung daran, nicht aber das Gewesene selbst auslöschen können. Eine entsprechende Tatsachenbehauptung würde also auch dann, wenn sie aufgrund totaler Gewalt faktisch niemand mehr treffen könnte, nicht einfach unwahr werden. Was also ist es, das diese «objektive Präsenz der Vergangenheit» sicherstellen kann, die eine «Anwendung des Wahrheitsbegriff es auf Vergangenes» allererst zu legitimieren vermag?37 Die Antwort von Hans Jonas ist so erstaunlich wie naheliegend: Es muss ein «vollkommenes, sowohl fehlerloses wie universales Gedächtnis» und folglich ein «universaler und vollkommener Geist» sein, der hier die Funktion des Wahrheitsgaranten übernimmt.38
Damit sind zwei Anmerkungen verbunden. Zum einen ist zu betonen, dass Hans Jonas diesem Argument den epistemischen Status eines Postulates zumisst. Es ist also kein strenger Beweis der Existenz Gottes, wohl aber eine vernunftnotwendige Setzung zur Sicherung nicht nur der vernünftigen Rede von Geschichtstatsachen bzw. der Möglichkeit entsprechender Wahrheitsurteile, sondern von vernünftiger endlich-historischer Existenz überhaupt, weil diese ohne das Erstere ebenfalls gar nicht denkbar wäre.39 Zweitens ist wichtig festzuhalten, dass auch diese Variante des alethologischen Arguments notwendigerweise einen korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriff voraussetzt. Jonas ist da sehr klar: «Letzten Endes machen wir auf die naivste Weise, aber vollkommen berechtigt, von der Adäquationstheorie der Wahrheit Gebrauch: Erkenntnis ist adaequatio intellectus ad rem, Angleichung des Verstandes an die Sache.»40
Im Jahr 2006 hat Robert Spaemann in München einen vielbeachteten Vortrag gehalten, in dem er unabhängig von Hans Jonas einen sehr ähnlichen Gedanken entwickelt. Er wurde im Jahr darauf in einem kleinen Büchlein mit dem eher unbescheidenen Titel Der letzte Gottesbeweis publiziert.41 Spaemann schlägt darin einen weiten Bogen, beginnend mit dem Höhlengleichnis bis hin zu den klassischen Gottesbeweisen der Tradition. Gegen Ende kommt er dann auf das alethologische Argument zu sprechen, das er – wie vor ihm auch Hans Jonas – wie selbstverständlich mit dem korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriff verknüpft.42 An dieser mit jeder Gotteserkenntnis verbundenen, prinzipiellen Wahrheitsfähigkeit des Menschen hängt für ihn nicht nur unsere Gottebenbildlichkeit, sondern letztlich auch unser Personsein. Die hier zutage tretende «Einsicht in den inneren und untrennbaren Zusammenhang des Glaubens an die Existenz Gottes mit dem Gedanken der Wahrheit und der Wahrheitsfähigkeit des Menschen»43 verdeutlicht er ganz zum Schluss mit einem Argument, das er einen «Gottesbeweis aus der Grammatik, genauer ausdem sogenannten Futurum exactum» nennt. Gerade der Bezug auf das Futurum exactum – etwas wird so und nicht anders gewesen sein – verdeutlicht nun die Nähe des Gedankens zu Jonas, denn es ist jene grammatikalische Figur, die «denknotwendig mit dem Präsens» des Vergangenen verbunden ist: «Das Gegenwärtige bleibt als Vergangenheit des künftig Gegenwärtigen immer wirklich».44 Und wie Jonas schließt Spaemann von der bleibenden, auch unser einmal erlöschendes Erinnern nochmals überdauernden Wirklichkeit und Wahrheit des Vergangenen auf Gott als unbedingt wahrheitsverbürgender Instanz: «Wir müssen ein Bewusstsein denken, in dem alles, was geschieht, aufgehoben ist, ein absolutes Bewusstsein. […] Wenn es Wirklichkeit gibt, dann ist das Futurum exactum unausweichlich und mit ihm das Postulat des wirklichen Gottes.»45
Was bei Augustinus schon anklang, findet sich ebenso in den genannten neueren Spielarten des alethologischen Arguments bei Jonas und Spaemann wieder, und eben das wollten wir mit unserer zweiten These verdeutlichen: dass das alethologische Argument eine ganz bestimmte Konzeption von Wahrheit voraussetzt und in dieser Voraussetzung sehr nah beim ontologischen Argument ist. Die Rede ist vom klassischen korrespondenztheoretischen bzw. adäquationstheoretischen Wahrheitsbegriff , der Wahrheit als die Angeglichenheit von Denken und Sein versteht: adaequatio intellectus et rei. Nur wenn die Wahrheit gerade nicht Produkt unseres Denkaktes oder Ergebnis unserer sprachlichen Übereinkunft ist, sondern umgekehrt unser Denken, Sprechen und Urteilen in ihr sein Maß findet, kann das alethologische Argument greifen. Und nur dann ist wiederum das ontologische Argument erreichbar. Kurz: Ohne einen (zumindest moderaten) metaphysischen Wahrheitsrealismus, der Wahrheit nicht in der reinen Immanenz des Bewusstseins, sondern in der Angleichung von Sache und Intellekt, von Denken und Sein verortet, kein alethologisches und also auch kein ontologisches Argument. Denn beide Argumente setzen voraus, dass die endliche Vernunft sich nicht das Maß ihres Urteilens und Erkennens selbst bildet, sondern im Ausgriff auf die Wirklichkeit an eben dieser Wirklichkeit ihr Maß findet. Selbstredend ist damit weder die Existenz Gottes bewiesen, noch die Richtigkeit der zugrundliegenden Wahrheitskonzeption verteidigt. Noch einmal: Es könnte sein, dass Nietzsche Recht behält und es keine Tatsachen, sondern nur Meinungen gibt. Doch sei ganz zum Schluss wenigstens darauf hingewiesen, dass die Alternative zwischen Sinn und Unsinn, zwischen Intelligibilität und Absurdität des Ganzen keine symmetrische ist, denn in jedem Akt der Selbst- und Weltwahrnehmung, erst recht in jedem Akt wissenschaftlich reflektierter Wirklichkeitsbetrachtung setzen wir implizit und performativ immer schon die Sinnhypothese voraus. So auch in diesem Essay. Hoffen wir zumindest.
Anmerkungen 1 Saskia Wendel, In Freiheit glauben. Grundzüge eines libertarischen Verständnisses von Glauben und Offenbarung, Regensburg 2020, 113. 2 Klaus v. Stosch, Zur Marginalität der Gottesbeweise in der Theologie. Response auf Winfried Löffler, in: Georg Gasser – Ludwig Jaskolla – Thomas Schärtl (Hg.), Handbuch für analytische Theologie (STEP 11), Münster 2017, 189–204, hier 198. 3 Ebd., 201. 4 Thomas Schärtl, Theologie – Weisheit – Wissenschaft. Ein Vorschlag, in: Benedikt Göcke (Hg.), Die Wissenschaftlichkeit der Theologie. Band 1: Historische und systematische Perspektiven (STEP 13/1), Münster 2018, 227–276, hier 245. 5 Vgl. Klaus Müller, Glauben – Fragen – Denken. Band I: Basisthemen in der Begegnung von Philosophie und Theologie, Münster 2006, 300. 6 Vgl. z. B. ebd., 298. 7 Vgl. Winfried Löffler, Argumente für Gottes Existenz und ihre Bedeutung für Theologie und Glaube, in: Georg Gasser – Ludwig Jaskolla – Thomas Schärtl (Hg.), Handbuch für analytische Theologie (STEP 11), Münster 2017, 159–187, hier 177; vgl. Joachim Bromand – Guido Kreis, Was sind Gottesbeweise?, in: dies. (Hg.), Gottesbeweise von Anselm bis Gödel (stw 1946), Berlin 2011, 9–28, hier 15–17. 8 Alvin Plantinga, The Nature of Necessity, Oxford 1974, 221: «Hence our verdict on these reformulated versions of St. Anselm’s argument must be as follow s. They cannot, perhaps, be said to prove or establish their conclusion. But since it is rational to accept their central premiss, they do show that it is rational to accept that conclusion. And perhaps that is all that can be expected of any such argument.» Wie ersichtlich, bezieht sich Plantinga hier dezidiert auf Versionen des ontologischen Arguments. Hervorhebungen im Original. 9 Vgl. Armin Kreiner, Das wahre Antlitz Gottes – oder was wir meinen, wenn wir Gott sagen, Freiburg/Br 2006, 484–487 und Löffler, Argumente (s. Anm. 7), 168.172–174.177. 10 Vgl. dazu (allerdings mit größerem Optimismus hinsichtlich der Erfolgsaussichten einer Beweisbarkeit) Benedikt Paul Göcke, Gottesbeweise, Offenbarung und propositionaler Gehalt. Über den Glauben nachdenken mit Dei filius, in: Julia Knop – Michael Seewald (Hg.), Das Erste Vatikanische Konzil. Eine Zwischenbilanz 150 Jahre danach, Darmstadt 2019, 117–134, hier 125: «Die Annahme der Beweisbarkeit der Existenz Gottes ist ein erkenntnistheoretischer Schutz gegen religiösen Fundamentalismus, Fideismus und Irrationalismus.» 11 Vgl. Robert Spaemann, Was ist das, «quod omnes dicunt deum»?, in: Thomas Buchheim – Friedrich Hermanni – Axel Hutter – Christoph Schwöbel (Hg.), Gottesbeweise als Herausforderung für die moderne Vernunft, Tübingen 2012, 33–45, hier 33. Spaemann illustriert mit diesem Beispiel des ins Unendliche iterierbaren Traumbilds eines Schlafenden vom vermeintlichen Erwachen die Kritik des Thomas am ontologischen Argument Anselms, dass die «immanente Transzendenz des menschlichen Bewusstseins ihre eigene Immanenz aufheben könne» (ebd.). 12 Nur um ein mögliches Missverständnis von vornherein auszuräumen: Es geht uns hier nicht darum, eine autonome Moral zu desavouieren. Ganz im Gegenteil: Gerade sie setzt ein hohes Vertrauen in die Intelligibilität der Wirklichkeit und die Verlässlichkeit unseres Denkens voraus. 13 Bonaventura, De mysterio trinitatis, q 1 a 1 nr. 25, Opera V, 47. Lateinisches Originalzitat, Zitatübersetzung, Zitatbeleg und Einordnung bei Josef Schmidt, Philosophische Theologie. Grundkurs Philosophie 5, Stuttgart 2003, 111 (= Nr. 150). 14 Ebd. mit Verweis auf: Bonaventura, De mysterio trinitatis, q 1 a 1 nr. 29, Opera V, 48. 15 Anselm v. Canterbury, Proslogion II, in: Kann Gottes Nicht-Sein gedacht werden? Die Kontroverse zwischen Anselm von Canterbury und Gaunilo von Marmoutiers. Lateinisch-Deutsch. Übersetzt, erläutert und hg. v. Burkard Mojsisch. Mainz 21999, 50–53. 16 Vgl. ebd. 17 Thomas von Aquin, STh I q 2 a 1 ad 2. 18 Vgl. Immanuel Kant, KrV B 626f. / A 598f. 19 Gaunilo, Was ein Namenloser anstelle des Toren darauf erwidern könnte, in: Kann Gottes Nicht-Sein gedacht werden? Die Kontroverse zwischen Anselm von Canterbury und Gaunilo von Marmoutiers. Lateinisch-Deutsch. Übersetzt, erläutert und hg. v. Burkard Mojsisch. Mainz 21999, 61–81, hier 60f.66f.68f.70f. 20 Vgl. Hansjürgen Verweyen, Anselm von Canterbury 1033–1109. Denker, Beter, Erzbischof, Regensburg 2009, 74f. sowie Ders., Gottes letztes Wort. Grundriss der Fundamentaltheologie, Regensburg 42002, 96–101.142–146. 21 Verweyen, Anselm von Canterbury (s. Anm. 20), 87. Wir folgen dieser These, ohne uns jedoch die verschiedentlich angedeutete, weitergehende (und an Descartes’ idea innata erinnernde) Annahme zu eigen zu machen, dies wiederum sei – so Verweyen ebd., 85 – «ein von anderswo her kommender Gedanke». Dagegen ist zu betonen, dass selbstredend auch der Gedanke einer absoluten, unbedingten und schlechthin vollkommenen Wirklichkeit, die unser immanent-perennierendes und so trotz allen Fortschreitens doch im Endlichen verbleibendes Transzendieren ihrerseits nochmals transzendiert, rein mit den Mitteln der endlichen Vernunft gebildet werden kann. Verweyen selbst scheint hier zu schwanken. Während er in Gottes letztes Wort (s. Anm. 20), 99 wie selbstverständlich notiert, dass die endliche Vernunft selbst den Begriff dieses «ganz anderen Unendlichen» bilde, scheint er in Hansjürgen Verweyen, Mensch sein neu buchstabieren. Vom Nutzen der philosophischen und historischen Kritik für den Glauben, Regensburg 2016, 42f.60–71 zur gegenteiligen Annahme zu tendieren, legt die (vertikale) Frage nach dem Woher der Gottesidee dort aber als aufgrund der Theodizeefrage letztlich unbeantwortbar beiseite. 22 Anselm von Canterbury, Proslogion III (s. Anm. 15), 55. 23 Vgl. auch hierzu nochmals Verweyen, Gottes letztes Wort (s. Anm. 20), 85f.88. 24 Anselm v. Canterbury, Proslogion XV, in: Ders., Proslogion, Untersuchungen. Lateinisch-deutsche Ausgabe von F. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962; Zitat und Zitatnachweis bei Verweyen, Anselm von Canterbury (s. Anm. 20), 86. 25 Vgl. Donald W. Viney – George W. Shields, Charles Hartshorne: Theistic and Anti-Theistic Arguments, in: The Internet Encyclopedia of Philosophy, ISSN 2161-0002, https://iep.utm.edu/hart-t-a/ (02.02.2021). 26 Vgl. John N. Findlay, Can God’s Existence be Disproved?, in: Antony Flew – Alasdair MacIntyre (Hg.), New Essays in Philosophical Theology, London 1969, 47–56; Ingolf U. Dalferth, The One Who is Worshipped. Erwägungen zu Charles Hartshornes Versuch, Gott zu denken, in: Ders., Gott. Philosophisch-theologische Denkversuche, Tübingen 1992, 192–212. 27 Vgl. Charles Hartshorne, The Logic of Perfection, Lasalle/Il 31973, 70: «‹God› is without coherent meaning, or divinity exists necessarily.» 28 Ebd., 95. 29 Ebd., 115. Deshalb müssen für Hartshorne in Gott sowohl Möglichkeit (Affizierbarkeit) als auch Notwendigkeit gedacht werden, was ihn wiederum in der Spur Whiteheads zum Begriff Gottes als eines kosmischen Individuums modaler Dipolarität führt. Vgl. hierzu neben Dalferth, The One Who is Worshipped (s. Anm. 26), 201 noch Klaus Müller, Gott: Totus intra, totus extra.Über Charles Hartshornes Transformation des Theismus, in: Julia Enxing – Klaus Müller (Hg.), Perfect Changes. Die Religionsphilosophie Charles Hartshornes (ratio fidei 47), Regensburg 2012, 11–24. 30 Vgl. Hartshorne, The Logic of Perfection (s. Anm. 27), 96: «Real possibilities narrower than logical can be accepted only for limited time, not for all time. In this way we can treat any exclusive or specific state of affairs as something that nature or God might once have produced or may yet produce. But we cannot conceive God Himself as such a mere product. Once more we see the uniqueness of the concept of perfection in its relation to possibility.» 31 Vgl. Saul Kripke, Naming and Necessity, in: Donald Davidson – Gilbert Harman (Hg.), Semantics of Natural Language, Dordrecht 1972, 253–355. 32 Augustinus, De libero arbitrio. Buch II, 130. Zitat und Zitatnachweis bei Schmidt, Philosophische Theologie (s. Anm. 13), 81 (= Nr. 100). 33 Ebd., mit Bezug auf Augustinus, De libero arbitrio, 153. 34 Beide Zitate ebd., 84 (= Nr. 103). 35 Vgl. Hans Jonas, Vergangenheit und Wahrheit. Ein später Nachtrag zu den sogenannten Gottesbeweisen, in: Ders., Gedanken über Gott. Drei Versuche, Frankfurt/M 1994, 7–25, hier 8. 36 Ebd., 10. Vgl. ebd., 20. 37 Beide Zitate ebd., 23. 38 Beide Zitate ebd., 22. Kursivierungen im Original. 39 Vgl. ebd., 22f.: «Aus alldem ergibt sich ein ganz eigentümliches Postulat für die Existenz eines absoluten, göttlichen Subjekts, nämlich als transzendentale Bedingung der Möglichkeit von endlichhistorischer Existenz.» 40 Ebd., 11. Hervorhebung im Original. 41 Vgl. Robert Spaemann, Die Vernünftigkeit des Glaubens an Gott, in: Ders., Der letzte Gottesbeweis. Mit einer Einführung in die großen Gottesbeweise und einem Kommentar zum Gottesbeweis Robert Spaemanns von Rolf Schönberger, München 2007, 9–32. 42 Vgl. ebd., 27: «Wenn es den Blick Gottes nicht gibt, gibt es keine Wahrheit jenseits unserer subjektiven Perspektiven.» Mit unserem hier vorgelegten Plädoyer für das klassische Wahrheitsverständnis stimmen wir dieser These als einer theologischen (!) zu, machen aber (gewiss mit Spaemann) auf den u. E. entscheidenden Unterschied zwischen der Behauptung der Existenz dieser Perspektive und der durchaus weitergehenden Behauptung der zweifelsfreien Feststellbarkeit ihres Besitzes im endlichen Urteilsakt aufmerksam. 43 Ebd., 28. 44 Alle Zitate ebd., 31. 45 Ebd., 32.
Abstract: Failure with Benefits: On the Magnitude and Limits of Proofs for the Existence of God. The validity and soundness of proofs for the existence of God are heavily disputed in philosophy of religion and theology. We argue that the main purpose of such proofs is to clarify the meaning of the concept ‘God’ and to reveal logical requirements and implications of theistic belief. With reference to Anselm of Canterbury, Alvin Plantinga and Charles Hartshorne, we present and discuss the Ontological Argument, concluding that it can still be rationally defended, but only with the presumption that God grounds ontological modality independent of human thought categories. This strong epistemological thesis is outlined in the Alethological Argument, which we discuss with reference to Augustine, Hans Jonas and Robert Spaemann. The argument postulates an isomorphic relation between thought/language and being, which not only implies moderate metaphysical realism, but also necessitates the existence of God to warrant this relationship.
Keywords: proof of God’s existence – ontological argument – realism – Anselm of Canterbury
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