archivierte Ausgabe 4/2021 |
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Herausgeber und Redaktion |
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JOACHIM HAKE Direktor der Katholische Akademie in Berlin e.V. |
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URSULA SCHUMACHER
Professorin für Dogmatik an der Universität Luzern |
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JAN-HEINER TÜCK Professor für dog-
matische Theologie, Universität Wien |
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Herausgeber und Redaktionsbeirat stellen sich vor. |
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Lesermeinung von |
Anton Svoboda,
Dipl.-Theologe, Musiker
Lesen Sie hier |
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Leseprobe 2 |
DOI: 10.14623/com.2021.4.408–421 |
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Margit Eckholt |
CHALKEDON – NICHT MEHR VERMITTELBAR? |
Kontextuelle Theologien, ihre neuen Paradigmen und das Erbe der altkirchlichen Christologie |
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1. Postkoloniale Anfragen, die Debatte um die «Hellenisierung» und die Rückfrage nach Jesus Christus
Über die post- und dekolonialen Methodiken, die in den letzten Jahren immer mehr auch in Theologie und Philosophie im europäischen Kontext rezipiert werden, wird die Debatte um die «Hellenisierung» christlichen Glaubens in einen globalen Zusammenhang gestellt und in einer grundsätzlichen Anfrage an das europäische philosophische Erbe zugespitzt. Die Debatte selbst hat angesichts neuer historisch-kritischer Methodiken und der Rückfrage nach dem «historischen Jesus» die Theologie der Moderne begleitet und in der These von Adolf von Harnack Anfang des 20. Jahrhunderts in einer besonderen Weise ihren Ausdruck gefunden in der grundsätzlichen Zurückweisung der metaphysischen Denktraditionen der griechischen Philosophie, über deren Rezeption es zur Ausgestaltung des christlichen Dogmas auf den ökumenischen Konzilien der Antike gekommen ist. Exegetische, kirchenhistorische und systematisch-theologische Studien der letzten Jahrzehnte haben diese These in ihrer Einlinigkeit zurückgewiesen, aber mit den «neuen» Stimmen aus den verschiedenen Ortskirchen, die im Rückgriff auf asiatische, afrikanische und indigen-lateinamerikanische kulturelle und religiöse Traditionen neue theologische Vorstellungen und Begriffe entwickeln, erhält die Debatte um die «Hellenisierung» und damit die Rückfrage nach der Gestaltwerdung des christologischen Dogmas, wie es vor allem auf dem Konzil von Chalkedon seinen Ausdruck findet, eine neue Dimension. Mit dieser ist auf der einen Seite eine radikale Herausforderung gerade im Blick auf eine immer noch westlich und in diesem Sinn eurozentrisch geprägte Kirche und Theologie – gerade in ihrer lehramtlichen Ausprägung – verbunden, auf der anderen Seite die Chance, weiter den lebendigen Prozess der Inkulturation christlichen Glaubens in der Pluralität der Kulturen und der lebendigen und spannungsreichen Begegnung mit anderen religiösen Traditionen voranzutreiben.
Die leitende These der folgenden – eher essayistischen – Überlegungen ist, dass in der dynamischen Aufeinanderbezogenheit – und damit verbunden sicher auch Spannung – von «Jerusalem» und «Athen», die den Prozess der Ausgestaltung der neutestamentlichen Texte, der Evangelien, Apostelgeschichte und Briefliteratur bis hin zur Formulierung der dogmatischen Aussagen auf den ökumenischen Konzilien der Antike geprägt hat und für einen nicht einlinigen, sondern pluralen und lebendigen Prozess der «Inkulturation des Evangeliums» und der «Evangelisierung der Kultur» steht, ein Potential für alle weitergehenden Inkulturationsprozesse christlichen Glaubens in die Pluralität der Kulturen liegt, und mehr als ein Potential: eine leitende Referenzgröße angesichts der geschichtlichen Gestaltwerdung der Wahrheit christlichen Glaubens. Über die metaphysischen Begrifflichkeiten der antiken Philosophie, wie sie sich in den Begriffen des «homoousios», der Gleichwesentlichkeit des Sohnes mit dem Vater, auf dem Konzil von Nizäa und der «hypostatischen Union», der Einheit von Göttlichem und Menschlichen in der einen Person Jesu Christi bei gleichzeitiger Unterschiedenheit der Naturen, auf dem Konzil von Chalkedon niedergeschlagen haben, ist zum Ausdruck gebracht worden, dass Gott sein «Wesen» in der Geschichte offenbart und dass dies ein «Sachverhalt» ist, der universal vermittelbar ist. Der geschichtliche und ereignishafte Charakter des Offenbarwerdens Gottes in der Geschichte ist in der weiteren theologischen Tradition unterbelichtet worden. Die Entwicklung der Christologie in der Moderne steht für das Ringen um diesen «geschichtlichen», d.h. «dynamischen» und «ereignishaften» Charakter des Dogmas von Chalkedon. «Das Ereignishafte des älteren christlichen und christologischen Denkens bildet sich gleichsam ab auf einer neuen, nämlich der metaphysischen Ebene, und so erscheint das Ereignis als Wesen – ‹ousia› – und nicht mehr als Ereignis,» so Bernhard Welte in seiner wegweisenden Interpretation des Konzils von Chalkedon, mit der er auf die Grenzen metaphysischer Begrifflichkeit (vor allem in ihrer Gestalt einer neuscholastisch-ungeschichtlichen Theologie) hinweist, gleichzeitig aber auch weitergehende Interpretationen öffnet.
Die kontextuellen Theologien haben sich seit dem 2. Vatikanischen Konzil in den verschiedenen Weltregionen ausgebildet in der Gestalt von Befreiungstheologien, in die verschiedenen kulturellen Traditionen eingebetteten Theologien und interkulturell und interreligiös ausgerichteten Theologien im lateinamerikanischen, afrikanischen und asiatischen Raum. Sie stehen für einen weitergehenden «Transformationsprozess der geschichtlichen Vernunft», der, wie Peter Hünermann in seiner Christologie deutlich macht, der «Logik des Christusgeschehens» entspricht. Auf diese neuen Theologien wird im Folgenden im Blick auf die Frage eingegangen, welche Bedeutung sie den antiken Konzilen und vor allem der Entscheidung von Chalkedon beimessen. Sie nehmen nicht Abschied von Chalkedon im Sinn der christlichen Glaubensüberzeugung und des Wahrheitsgehalts christlicher Offenbarung, sondern ihre neuen Perspektiven beziehen sich auf das Ausbremsen des genannten «Transformationsprozesses der geschichtlichen Vernunft», und damit werden sie vor allem zu einer Anfrage an die theologische Arbeit einer immer noch nach einer «westlichen» und damit «eurozentrischen» Logik vorgehenden Glaubenskongregation. Ihre Stimmen machen deutlich, dass diese für eine Weltkirche zentrale Behörde auch den von Papst Franziskus in «Veritatis Gaudium» (2017) genannten Erneuerungsprozess zu durchlaufen hat und das heißt, die interkulturellen Dynamiken einer Weltkirche und die damit verbundenen «Zeichen der Zeit» ernst zu nehmen.
2. Kontextuelle Christologien und der notwendige Transformationsprozess geschichtlicher Vernunft
Mit dem 2. Vatikanischen Konzil ist ein bis heute noch nicht eingelöster Transformationsprozess der katholischen Kirche im Blick auf ihre Verortung als Welt-Kirche in den verschiedenen kulturellen Kontexten einer globalisierten Welt und in diesem Sinn im Blick auf den Abschied, wie Karl Rahner es nannte, von einer westlich-eurozentrischen Gestalt von Kirche in Gang gekommen. Gerade die in den Nachkonzilsjahren entstehenden kontextuellen Theologien haben den Finger in die Wunde gelegt, dass «Kolonialität», so Juan Luis Tamayo in seiner 2020 veröffentlichten Studie zu den «Theologien des Südens», «keine unerwünschte Nebenwirkung der Moderne oder ein bloße Zutat zu ihr (ist), sondern vielmehr ihr konstituierender Bestandteil, der Hintergrund und das verborgene Antlitz des europäischen Narrativs der Moderne», und dieses Narrativ hat auch die Kirche über Jahrhunderte geprägt. Den neuen theologischen Ansätzen, die – um ein Wort von Papst Franziskus aufzugreifen – an den verschiedenen «Peripherien» der Welt entstanden sind, kommt darum das zentrale Verdienst zu, neue theologische Pisten für diesen notwendigen Transformationsprozess auszulegen – im Dienst der Evangelisierung und eines glaubwürdigen Zeugnisses von Jesus Christus in einer von unterschiedlichen kulturellen Traditionen geprägten Welt. [...]
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