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Leseprobe 1 DOI: 10.14623/com.2022.1.15–24
Klaus Unterburger
ZWISCHEN GANZHINGABE UND ÜBERFORDERUNG
Erfolg und Grenzen des Priesterbildes des 19. Jahrhunderts
Unter dem Titel «Abschied von Hochwürden» hat vor etwas mehr als 50 Jahren Josef Othmar Zöller die Identitätskrise der katholischen Priester nach dem Konzil analysiert. Seiner Auffassung nach prallte ein Selbstbild, in das man bis zum Ende des Pontifikats Pius’ XII. hinein sozialisiert wurde, mit den Logiken der modernen Industriegesellschaft zusammen. Das Priesterbild des 19. Jahrhunderts sei angesichts der Herausforderungen der Gegenwart zu verabschieden, um die Kirche zukunftsfähig zu machen: «Das ist das Tempo dieser unserer Zeit in Wissenschaft und in der Kirche: während sich der Abschied von Hochwürden langsam und für manche schmerzhaft vollzieht, warten die Menschen auf die Kirche der Zukunft, auf den neuen Priester». «Hochwürden» stand für Respekt, Achtung, ja Verehrung, die dem Priester entgegengebracht wurde, damit auch für ein Selbstbild, aus dem man Bestätigung und Kraft hatte schöpfen können. Der Umbruch offenbarte die Kontingenz dieses Priesterbildes; was in der Gegenwart zu vergehen drohte, war selbst kontingent und erst im Lauf der Geschichte entstanden. Die «Priesterkirche» – so nun auch viele katholische Theologen –, konnte sich nicht einfach auf den Willen Jesu berufen; das Amt sollte neu konzipiert werden. Infragestellung durch die neue Zeit und durch Reformforderungen nach dem Konzil und Relativierungen auch durch katholische Exegeten und Historiker trugen zu einer Identitätskrise des katholischen Priestertums bei. Auf dem Konzil selbst, das in seiner ekklesiologische Neubesinnung die Würde des Bischofsamtes, aber auch die der Laien, tiefer herausarbeiten wollte, waren – nach einem Wort von Otto Hermann Pesch – die Priester die «Stiefkinder» geblieben.

Doch auch wo man sich der Kontingenz des Priesterbildes des 19. Jahrhunderts bewusst war, blieb etwas von seiner Faszination bestehen. «Der bayerische Klerus des 19. Jahrhunderts», so Georg Schwaiger in der Rückschau 1972, «ist gut gebildet, moralisch und religiös hochstehend, eifrig und gewissenhaft in der Erfüllung seiner Amtspflichten und dabei dem Volk verbunden, aus dem er kommt … noch eine echte Elite des Volkes». Die ultramontane Verengung um die Jahrhundertmitte wird dabei durchaus kritisch gesehen, doch haben viele Priester im Alltag die «lebensfremden Papierweisheiten» beiseitegeschoben und sind «von sich aus gütiger zu ihrem Pfarrvolk» geworden: «Die älteren von uns haben noch die Priester des 19. Jahrhunderts gekannt, geistliche Herren gewiß, aber gütige, stets zum Dienst bereite Priester. Es waren die Priester unserer Jugend. Denn erst der Zweite Weltkrieg und der folgende allgemeine Umbruch haben in unserem Land, auch in der Kirche unseres Landes, das 19. Jahrhundert wirklich zu Grabe getragen.»

Das alte Priesterideal und das neue Misstrauen der Tiefenpsychologie

Lange vor der Missbrauchskrise war aber auch in katholischen Kreise das psychologische Misstrauen und der tiefenpsychologische Verdacht gegen die priesterliche Lebensform eingedrungen. Bereits 1955 hatte der Schweizer Bethlehemitenpater Jakob Crottogini (1919–2012) eine empirische (Befragung von Seminaristen) Dissertation über die Soziologie und die Einstellung und Motive derjenigen vorgelegt, die das Priestertum anstrebten, die in 4.000 Exemplaren gedruckt worden war, eher der Kölner Kardinal Josef Frings und das Hl. Offizium intervenierten. Mehrere Versuche der Überarbeitung und Selbstzensur konnten der römischen Behörde keine Druckerlaubnis mehr abringen, obwohl ein Teil der Auflage doch in den Umlauf gelant war: Die Thematisierung der Sexualität der Priester bzw. Alumnen sollte unterdrückt werden. 1969 erschien ebenfalls im Benzinger-Verlag trotz Schwierigkeiten die Dissertation des Schweizer Psychotherapeuten und Theologen Karl Guido Rey (1930–2018) «Das Mutterbild des Priesters». Gestützt auf die Auswertung von Fragebögen kam er zur Diagnose, dass Priesterberufungen durch familiäre Konstellationen begünstigt würden, bei denen der Vater gegenüber einer sehr religiösen Mutter kirchlich abfalle. Damit gehe in der Regel eine überstarke Mutterbindung einher und eine – verstärkt durch die prüde, überwachende Erziehung in den Seminaren – unreife Persönlichkeit.

Zahlreiche pastoralpsychologische Untersuchungen folgten. Die Kehrseite des heroisch-selbstlosen, reinen und angesehenen Priesters schien psychische Unreife zu sein; Triebverdrängung und eine nicht entwickelte, personale Beziehungsfähigkeit seien die unheimliche Rückseite des Priesterbildes des 19. Jahrhunderts. Eugen Drewermanns Werk «Kleriker» schien eine Synthese zu liefern; sein Konflikt mit der Kirche machte die Diagnose weiten Kreisen bekannt. Der Priester werde gehindert, seine elementaren Lebensbedürfnisse zu entfalten und zu reifen; hinter seiner Unterwerfung unter das System Kirche stehe die Lebensangst vor der Selbstverwirklichung, so sei seine Persönlichkeit überformt von Ängsten und Zwängen. Als seit etwa 2003 bzw. 2010 die Missbrauchskrise die Kirche erschütterte, lag somit ein tiefenpsychologisches Deutungsmuster bereit, nach welchem die extreme Idealisierung des Priesters zu einer gefährlichen Triebunterdrückung führe und diese Regression und Abspaltung des Verdrängten und damit den sexuellen Missbrauch begünstige. Das traditionelle Priesterideal selbst steht unter Verdacht, auf Menschen mit unreifer Sexualität anziehend zu wirken und so am Missbrauch Schutzbedürftiger mit schuldig zu sein.

Transformationen des Priesterbildes


So ist es naheliegend, zunächst einmal das Priesterbild des langen 19. Jahrhunderts selbst zu untersuchen und in seiner Genese nachzuzeichnen. Denn was oft oberflächlich als das vormoderne, tridentinische Priesterbild bezeichnet wird, ist selbst erst zeitlich spät als Ergebnis zahlreicher Transformationen und Modernisierungsprozesse entstanden. Der Begriff des Priesters und die damit verbundenen normativen Erwartungen sind nämlich viel weniger konstant gewesen, als dies in der Regel angenommen wird. Nachdem sich wohl im Laufe des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts eine dreigliedrige Ämterhierarchie mit Episkopen, Presbytern und Diakonen in den christlichen Kirchen etabliert hatte, setzte ein Prozess der Sacerdotalisierung ein, zunächst des Bischofs- und dann des Presbyteramtes. Dass auch Presbyter den Eucharistiefeiern vorstehen durften, ist seit dem 4. Jahrhundert bezeugt (in Gallien erst viel später), besonders für Landgemeinden. 416 bezeichnet Innozenz I. sie erstmals als sacerdotes. Im Frühmittelalter verschoben sich die Akzente. Am Bischofsamt wurde die Jurisdiktion betont; der ideale Bischof lebe als Mönch, sei gleichsam der Abt seiner Diözese; für die Bischöfe wurde der Priestertitel unüblich. Dafür wurde sacerdos nun zur gängigen Bezeichnung für die Presbyter, denen er zunächst nur sekundär und abgeleitet zugewachsen war.

Der Sacerdotalisierungsprozess des Bischofs- und des Presbyteramtes geschah unter Übernahme alttestamentlicher Priester- und Opferterminologie. Die Aufgabe des Priesters sei es, Gott im Kult ein reines Opfer darzubringen, die Eucharistiefeier bald als Opferhandlung gedeutet, was bedingte, dass den christlichen Priestern kultische Reinheit abverlangt wurde. Seit dem 4. Jahrhundert forderten Synoden und erste päpstliche Dekretalen einen Enthaltsamkeitszölibat, der vor allem im Westen mit der aufkommenden Praxis der täglichen Eucharistiefeier dem Gebot völliger sexueller Abstinenz auch bei bestehendem Eheband gleichkam. So sehr in diese Norm auch andere Motive, etwa die Hochschätzung von Askese und Mönchtum, eingeflossen sind, die Forderung nach den kultisch «reinen Händen» bestimmte seit der Spätantike die Norm des zölibatären Priesters. Während das frühe Christentum nur das geistige Opfer der Christen als priesterlichem Volk in der Hingabe an Gott und die Nächsten kannte, wurde die Eucharistie nun als kultisches Messopfer gedeutet, das auch Bitt- und Sühnecharakter habe. Die materielle Stiftungsgabe und das Messstipendium ermöglichten das rituelle Tun des Priesters, durch das die Stifterfamilien Teil haben konnte am den geistlichen Früchten der Messe. Für die mittelalterlichen Priester waren zwei Aspekte entscheidend: die kultische, vor allem sexuelle, Reinheit und der korrekte Vollzug der lateinischen Riten. Die Propagierung des Zölibats durch die gregorianische Reformbewegung erwuchs aus der Sorge der Frommen um eine sakramental gültige Feier der Messe. Im Kampf mit den Kirchenpatronen ging es auch um die Hoheit über die Benefizialgüter; den Bischöfen war daran gelegen, auf diese Zugriff zu bekommen, da sie ja einem geistlichen Amt dienen sollten. Erbberechtigte Priesternachkommen wären dem entgegen gestanden. [...]


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