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Leseprobe 3 DOI: 10.14623/com.2022.5.557–569
Manfred Spieker
CHRISTLICHE FRIEDENSETHIK UND DER KRIEG IN DER UKRAINE
Warum die Lehre vom gerechten Krieg nicht überholt ist
1. Kritik an der Lehre vom gerechten Krieg

Putins Krieg gegen die Ukraine hat die Friedensethik katholischer und evangelischer Theologen in Verwirrung gestürzt. Genauer, er hat eine seit über 20 Jahren anhaltende Verwirrung ans Licht gebracht. Es gibt unter den Sozialethikern zwar niemanden, der der Ukraine das Recht abspricht, sich gegen die russische Aggression zu verteidigen. Bei der Frage, ob die westlichen Staaten verpflichtet seien, der Ukraine mit Waffen zu helfen, ist dagegen schon mehr Unsicherheit zu spüren. Egal ob wir Waffen liefern oder nicht, «wir werden uns definitiv schuldig machen», meint der Bischof von Hildesheim, Heiner Wilmer, der auch Vorsitzender der deutschen Kommission Justitia et Pax ist. Machen wir uns wirklich schuldig, wenn wir dem Opfer einer Aggression mit Waffen helfen? Nein, solche Bemerkungen verwirren. Einen Zwang zur Schuld gibt es nicht.

Wenn es jedoch um die Bedingungen militärischer Verteidigung geht, ist die Unsicherheit groß. Die Angst, sich auf die Lehre vom gerechten Krieg einzulassen, ist weit verbreitet. Putins Krieg rechtfertige nicht, zur Lehre vom gerechten Krieg zurückzukehren. Diese Lehre «aus der Zeit des Kalten Krieges», so der katholische Sozialethiker Wolfgang Palaver (Innsbruck), sei überholt. An ihre Stelle sei das Konzept des «gerechten Friedens» getreten. «Gewaltfreiheit» sei die vorrangige Option christlicher Friedensethik. Deren Potential dürfe man wegen des Krieges in der Ukraine «nicht negieren oder kleinreden», so die katholische Sozialethikerin Marianne Heimbach-Steins (Münster).
Die evangelische Friedensethik hat nicht weniger Angst vor der Lehre vom gerechten Krieg. Die Orientierung am «gerechten Frieden», so Heinrich Bedford- Strohm, Sozialethiker in Bamberg, Landesbischof der evangelischen Kirche in Bayern und bis 2021 Ratsvorsitzender der EKD, bleibe auch nach dem Angriff Putins auf die Ukraine richtig. Es bleibe «auch richtig, dass wir uns damit von der ‹Lehre vom gerechten Krieg› verabschiedet haben». Er beruft sich auf die Friedensdenkschrift der EKD von 2007 «Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen», die deutlich gemacht habe, dass die Lehre vom bellum iustum im Rahmen des Leitbildes vom gerechten Frieden keinen Platz mehr habe. Auch Annette Kurschus, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen und Nachfolgerin Bedford -Strohms als Ratsvorsitzende der EKD, distanziert sich von der Lehre vom gerechten Krieg. Sie «weiterzuentwickeln» habe die innerprotestantische Debatte zur Friedensethik seit der Gründungsversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948 bestimmt. Das Leitwort dieser Versammlung «Nie wieder Krieg» wies den Weg zum Pazifismus, zu dem sich auch Martin Niemöller bekannt hatte. Kurschus plädiert nicht für einen Pazifismus, offenbart aber ihre innere «Zerrissenheit»: «Ich kann einen Krieg grundsätzlich nicht gutheißen, auch keinen Verteidigungskrieg, auch keine Waffenlieferungen. Ich kann sie allenfalls als unvermeidlich anerkennen. Als geringeres Übel für vertretbar halten». Für beide «Optionen», die pazifistische und die der Rechtfertigung militärischer Gewalt, gebe «es gute Gründe». Auch für letztere stützt sie sich auf ein Dokument der protestantischen Ethik, die Barmer Theologische Erklärung von 1934, die im Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft festhielt, dass der Staat die Aufgabe hat, «unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen».

Katholische Sozialethiker, die sich von der Lehre vom gerechten Krieg distanzieren, können sich ebenfalls auf kirchliche Dokumente stützen: Papst Franziskus habe sich, so Palaver, in seiner Enzyklika «Fratelli Tutti» vom 3. Oktober 2020 von der Lehre vom gerechten Krieg distanziert mit der Begründung, in allen Kriegen in den letzten Jahrzehnten sei behauptet worden, sie seien «gerechtfertigt». Dem ist freilich entgegenzuhalten, dass die missbräuchliche Verwendung des Begriffs «gerechter Krieg» zur Rechtfertigung militärischer Aggressionen so wenig gegen die Tauglichkeit der Lehre vom gerechten Krieg spricht wie die Verwendung des Begriffs «Demokratie» durch die sozialistischen Volksdemokratien in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts gegen die Demokratie sprach. Aber Papst Franziskus nennt einen weiteren Grund, den er den «springenden Punkt» nennt: Durch die Entwicklung nuklearer, chemischer und biologischer Waffen und die Möglichkeiten der neuen Technologien habe der Krieg eine außer Kontrolle geratene Zerstörungskraft erreicht. Deshalb sei es heute «sehr schwierig, sich auf die in den vergangenen Jahrhunderten gereiften rationalen Kriterien zu stützen, um von einem eventuell ‹gerechten Krieg› zu sprechen». In einer Video-Konferenz mit dem Patriarchen der Russisch-Orthodoxen Kirche Kyrill hat sich Papst Franziskus am 16. März 2022 erneut von der Lehre vom gerechten Krieg distanziert. Seine Distanzierung war zwar eine indirekte Kritik an Kyrill, der Putins Angriffauf die Ukraine als gerechten Krieg bezeichnet hatte, aber Papst Franziskus trug damit, wie George Weigel feststellte, zu einer Verdunkelung der Lehre vom gerechten Krieg bei. Weigel hielt dem entgegen: Es gibt gerechte und ungerechte Kriege. Putins Krieg gegen die Ukraine ist ungerecht, der Krieg der Ukraine gegen die russische Invasion ist gerecht.

Zur Verdunkelung der Lehre vom gerechten Krieg hatten schon die deutschen Bischöfe mit ihrem Hirtenbrief «Gerechter Friede» vom 27. September 2000 beigetragen. Mit einem unkritisch übernommenen Zitat aus dem Abschlussdokument der Ökumenischen Versammlung «Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung» der DDR vom April 1989 behaupteten sie: «Mit der notwendigen Überwindung der Institution des Krieges kommt auch die Lehre vom gerechten Krieg, durch welche die Kirchen den Krieg zu humanisieren hofften, an ein Ende». Der Hirtenbrief dokumentiert im Übrigen die Illusionen, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion weit verbreitet waren: Der «Kalte Krieg» und der «Eiserne Vorhang» seien 1989/90 durch das «Konzept der Entspannung» überwunden worden. Die von Helmut Schmidt initiierte und von Helmut Kohl realisierte Nachrüstung der NATO 1983, die ein wesentlicher Beitrag zur Überwindung des Kalten Krieges war, wird komplett ignoriert. Die Bischöfe träumen von dem Ziel, «die Verfügungsmacht der Staaten über Mittel militärischer Gewalt zunehmend der Weltgemeinschaft zu übertragen». Dass die Lehre vom gerechten Krieg keineswegs an ihr Ende gekommen ist, zeigen die Bischöfe dann indirekt in einem Kapitel über humanitäre Interventionen. Das Ziel, Gewaltanwendung aus der internationalen Politik zu verbannen, könne «auch in der Zukunft mit der Pflicht kollidieren, Menschen vor fremder Willkür und Gewalt zu schützen». In den folgenden zehn Ziffern erläutern sie die Kriterien humanitärer Interventionen, die genau der Lehre vom gerechten Krieg entsprechen und die Behauptung der Einleitung widerlegen, die Lehre vom gerechten Krieg sei überholt. Papst Johannes Paul II. hatte bereits am 22. Juli 1995, wenige Tage nach der Ermordung mehrerer tausend muslimischer Männer bei Srebrenica, und dann nochmal in einer Ansprache an italienische Militärgeistliche am 19. Oktober 1995 von der Pflicht der internationalen Gemeinschaft zu «humanitärem Einschreiten» gesprochen,einer Pflicht, die nach der Völkermordkonvention der Vereinten Nationen vom 9. Dezember 1948 nicht allein den Vereinten Nationen, sondern jedem Staat zukommt, wie der Internationale Gerichtshof in Den Haag am 11. Juli 1996 bestätigt hat. [...]


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