Ein großer Sieg ist eine große Gefahr. Kaum war die unter Kaiser Diokletian um 300 begonnene furchtbarste aller Christenverfolgungen beendet und stattdessen unter Kaiser Konstantin eine neue Epoche der Kooperation von Kirche und Römischem Reich angebrochen, stürzte sich das Christentum durch interne Konflikte selber in eine lange, schwere Krise. Die vorherige Einheit in der Vielheit zerbarst, und gerade die christlichen Kaiser trugen dazu bei. Es gilt häufig als die größte Leistung Basilius «des Großen»1, in dieser verworrenen Phase durch seine Trinitätslehre, besonders die Pneumatologie Wege zur Wiedererlangung von Einheit bereitet zu haben – Wege, die zu einem Glaubensbekenntnis geführt haben, das heute noch fast alle Christen der Welt eint. War es wirklich so?
I
Als Kaiser Konstantin 325 das erste große Konzil nach Nizäa einberief, waren unter den über zweihundert bischöflichen Teilnehmern viele, die noch die Wundmale von Verfolgung und Folter an ihrem Leib trugen. Das hinderte sie nicht, einander heftig zu befehden. Der Kaiser wollte verschiedene innerchristliche Streitigkeiten beigelegt sehen, auch theologische. Eine davon war von dem alexandrinischen Presbyter Arius ausgelöst worden, der Argumente anführte, weshalb der Gottessohn nicht vom gleichen göttlichen Wesen wie der Vater sei, sondern dessen erstes, allein vollkommenes Geschöpf. Dagegen hatte sich Kritik erhoben. Denn der eine, wahre Gott ist für Arius allein der Vater. Das schien manchen Theologen die Bedeutung Christi für unser Heil ungebührlich zu mindern – hätte Christus uns erlösen können, wenn er nur ein Geschöpf wäre? Diese Bedenken teilten wohl auch viele Bischöfe, die aus der theologischen Tradition gewohnt waren, den Gottessohn gegenüber dem Vater als irgendwie rangniedriger zu denken, ohne dass sich diese Abstufung präzise bestimmen ließ. Die Konzilsväter beschlossen gegen Arius ein Glaubensbekenntnis, das nun erstmals nicht mehr zum lokalen Gebrauch als Taufbekenntnis dienen sollte, sondern als allgemeingültige Norm. Wer unterschrieb, hatte die theologische Bischofsprüfung bestanden: Der Gottessohn sei homoousios mit dem Vater, sei also vom gleichen Sein, ebenso Gott wie der Vater, «gezeugt» zwar, d.h. von ihm stammend, aber kein Geschöpf. Von einem Rangunterschied ist im Nizänum keine Rede. Wer nicht unterschreiben wollte, dem drohte der Kaiser mit Absetzung und Exil. Sehr wenige weigerten sich, einige mussten ins Exil.
Die Umarmung der Kirche durch das römische Kaisertum führte schon wenige Jahre später zu einer neuen, sehr speziellen Form der Christenverfolgung: Von etwa 335 bis 378 wurden von christlichen Kaisern in der Mehrzahl gerade solche Bischöfe mit Verbannung bedroht und bestraft, die eher in Richtung der nizänischen Gleichordnung von Vater und Sohn als in Richtung der arianischen Subordination des Sohnes dachten. Athanasius, auf Dauer der dezidierteste Nizäner, von 328 bis zum Tod 373 Bischof der großen ägyptischen Metropole Alexandrien, wurde ab 335 fünfmal von Kaisern ins Exil geschickt, kehrte aber stets zurück. Die Herrscher drangen auf Einigkeit und sahen in dogmatisch unflexiblen Theologen Querulanten, die aus der Öffentlichkeit verschwinden mussten.
Mehr als ein halbes Jahrhundert lang mischten sich theologische, kirchenpolitische und politische Motive im Streit um Gottvater und Sohn. Das Credo von Nizäa geriet zeitweise fast in Vergessenheit. Unentwegt tagten Synoden hier und dort, auf denen immer neue Bekenntnisse beschlossen wurden. Viele Bischöfe bildeten Überzeugungs- und Interessensgruppen mit volatilen Grenzen und Koalitionen. Schon früh gab es Theologen, die ein vorsichtigeres «dem Wesen (ousia) des Vaters ähnlich» dem homoousios vorzogen, ohne den Sohn zum Geschöpf zu erklären. Konstantins Sohn Kaiser Konstantius II. (337–361) wünschte ebenfalls ein Bekenntnis des Kompromisses. Es sollte weder die Radikalität des Arius haben noch das homoousios und das «aus der ousia (Sein/Wesen) des Vaters» enthalten. Die vom Kaiser gewünschte reichsoffizielle «homöische» Theologie (von homoios «ähnlich/gleich») nannte den Sohn dem Vater nur «ähnlich», ohne Wesensaussage; das war verschwommen, denn alle Menschen sind gottebenbildlich und gleichen daher Gott. Gleichzeitig sollte die gewollte Unschärfe mit feinen Nuancen zu Gesetzesschärfe fixiert werden. So forderte die Synode von Sirmium 357 sprachpolizeilich, niemand dürfe mehr von «wesensgleich» oder «wesensähnlich» sprechen, weil es nicht in der Bibel enthalten sei. Das von Konstantius II. als reichskirchlich verbindlich gemeinte Bekenntnis der Synode 360 in Konstantinopel präzisierte, der Sohn sei dem Vater «gleich gemäß der Schrift». Das angeblich konfliktvermeidende homöische Bekenntnis suchte der Kaiser durch Drohungen und Zwangsmaßnahmen durchzusetzen.
Das stärkte den Widerstand derer, die ein Nizäa-näheres «wesensähnlich» bevorzugten und «Homöusianer» genannt werden. Bischöfe verschiedener Richtungen begannen seit den späten 350er Jahren, sich wieder stärker auf das Nizänum zurückzubesinnen. Im Juli 359 etwa bitten auf einer Synode in Rimini Bischöfe (vergebens) Kaiser Konstantius II., unter kaum verhohlenem Bezug auf das Nizänum, dass künftig «nichts Neues eingeführt wird, nichts vermindert» werde. Nichts hinzufügen, nichts fortlassen – das ist die sogenannte «Kanonformel», die in ähnlichem Sinn auch Athanasius benutzt (epist. Jov. 1, 6 und 4, 1 f.). Sie steht schon in der Bibel, in Dtn 4, 2 und 13, 1 für das von Mose überlieferte Gesetz, in Apk 22, 18 f. für die Johannesapokalypse. Athanasius bedient sich der Formel auch in seinem oft als Abschluss des christlichen Bibelkanons geltenden 39. Osterfestbrief vom Jahre 367, worin er alle als kanonisch zu betrachtenden Schriften der Bibel auflistet und betont: «Dies sind die Quellen des Heils […] Niemand soll ihnen etwas hinzufügen noch etwas davon fortnehmen.» Die Kanonformel soll einer Kultur ein unantastbares ideelles Fundament ermöglichen.2 Ein Text, eine Liste von Texten oder eine Lehre soll der Veränderbarkeit entzogen werden und nurmehr der Interpretierbarkeit offenstehen. Neben und nach der Bibel soll nun auch das Nizänum in den Augen mancher Theologen ein solcher fundierender Text sein. Auf einer Synode in Alexandrien 362 gelang Athanasius ein neues vielversprechendes Verfahren, nämlich die wechselseitige Anerkennung berechtigter Anliegen von manchen nizänischen und manchen homöusianischen Theologen, deren vermeintlich einander widersprechende Terminologie in der Sache nicht in Widerspruch zueinander stehe. Damit deutete sich ein Weg zur Einigung an.
II
Das Bekenntnis von Nizäa hatte zum Heiligen Geist nichts Näheres gesagt, nur dass man an ihn glaube. Welchen Rang der Geist im Vergleich zu Vater und Sohn einnimmt, blieb offen. Dies war nicht Thema des Streites um Arius gewesen, und es gab hierzu in der vorherigen Theologie keine allgemein anerkannte Überzeugung.3 Die Bibel bietet keinen einheitlichen Befund. Man käme nicht zwingend von selbst darauf, dass der Geist, der über den Wassern schwebt (Gen 1, 2), eine mit dem Schöpfergott gleichrangige Größe ist. Bald erscheint der Geist in Passagen der Bibel wie eine Kraft Gottes, bald wie eine im Menschen wirkende Gabe Gottes, bald als göttlicher Beistand. Origenes, der bedeutendste christliche Theologe der vorkonstantinischen Epoche, hatte einst offen diskutiert, ob der Heilige Geist zum Gewordenen zähle, ob er ein eigenes Sein (ousia) neben dem Vater und dem Sohn habe, ob er vielleicht mit dem Vater identisch sei (in Ioh. II, 70–90). Origenes schlägt vor, von drei Hypostasen, drei Wirklichkeiten zu sprechen, Vater, Sohn und Geist. Doch schwankt Origenes in anderen Werken, ob er die drei als absteigende Hierarchie denken soll, wobei der Geist fast ein Geschöpf sei, oder als Größen von vollkommen gleicher Göttlichkeit.
Erst um 359/360 wurde mit einem Mal in verschiedenen Regionen des Reiches, teils aus dem Mönchtum heraus, teils aus den streitenden bischöflichen Gruppen heraus die Frage nach Wesen und Rang des Heiligen Geistes vehement und kontrovers debattiert. Streng genommen drehte sich der Konflikt erst jetzt um die ganze Trinität. Radikale Arianer erklärten sowohl den Sohn als auch den Geist zu Geschöpfen. Die Homöer ordneten den Geist in eine deutlich absteigende Hierarchie Vater – Sohn – Geist ein. Unter den Nizäa-Näheren sprachen manche von einer einzigen Hypostase und ousia von Vater, Sohn und Geist, andere von drei Hypostasen und ousiai. Manche Homöusianer sahen den Sohn dem Sein (ousia) nach dem Vater als ähnlich an, betrachteten jedoch den Heiligen Geist als bloßes Geschöpf. Alle Theologen, die den Geist nicht gänzlich der Seite Gottes zuordnen, werden unter dem Sammelnamen «Pneumatomachen» verbucht, «Geistbestreiter». Fassbar werden sie erstmals um 359 in Briefen des Athanasius an Bischof Serapion von Thmuis, der ihn auf eine Gruppe hingewiesen hatte, die den Arianismus ablehnte, doch den Heiligen Geist nicht als Gott bezeichnete. Athanasius witterte sofort die Gefahr: Die Gruppe vielleicht homöusianischer Ausrichtung war als Bündnispartner für eine Revitalisierung der nizänischen Theologie in Frage gekommen, hatte jedoch in seinen Augen jetzt den arianischen Subordinatianismus auf den Heiligen Geist verlagert und damit das alte Übel durch ein neues ersetzt. Athanasius dehnt dagegen umgekehrt das nizänische homoousios auf den Heiligen Geist aus: Dieser gehöre ganz zu Gott und sei homoousion mit Gott dem Vater und dem Sohn (ep. ad Serap. 1,27,3).
III
Basilius von Cäsarea in Kappadokien ist ein ganz anderer Charakter als Athanasius gewesen: letzterer eine unverwüstliche Kämpfernatur, oft rücksichtslos in der Polemik, mitunter ein Machiavelli der Kirchenpolitik, Basilius dagegen feinfühlig, zwar klar im eigenen Urteil, doch eher irenisch agierend, zudem eine ganze Generation jünger. Um 329 wurde er geboren, die Familie zählte zum senatorischen Adel. Christliche Märtyrer, Bischöfe und Asketinnen gingen aus ihr hervor, sein Bruder Gregor von Nyssa wurde sein theologischer Mitstreiter. Basilius studierte bei den brillantesten paganen Rhetoriklehrern seiner Zeit. Persönlich lebte er als Asket und wurde einer der Väter des griechischen Mönchtums. Auch ein großes soziales und caritatives Zentrum ging auf ihn zurück. Zum Priester wurde er erst 364 geweiht, das Bischofsamt von Cäsarea übernahm er wohl 370. Ursprünglich der homöusianischen Position zuneigend, wirkte er als Denker und Organisator für eine konsensfähige, nizäa-nahe Theologie und Kirche. Doch liegt ein Schatten erschöpfter Melancholie über vielen seiner Lebensäußerungen. 378 oder 379 starb er kaum fünfzigjährig. Ein frühes Werk des Basilius sind die drei um 363/364 abgeschlossenen Bücher gegen Eunomius. Dieser Theologe hatte die traditionelle Bezeichnung Gottes des Vaters als «unerzeugt» zur zentralen Aussage über Gottes Wesen (ousia) erklärt: Gott ist der Erste, der Anfang, er stammt von nichts und niemandem her. Das gilt nach Eunomius allein für Gott den Vater. Denn Christus sei als Sohn gerade nicht unerzeugt, sondern vom Vater gezeugt, mithin dem Vater vollkommen ungleich (anhomoios), das Gegenteil des nizänischen «homoousios mit dem Vater». Eunomius wendet diese zugespitzte arianische Theologie um 360/361 auch auf den Heiligen Geist an: Dieser sei dem Vater und auch dem Sohn untergeordnet und Geschöpf des Sohnes (apol. 25).
Gegen Eunomius bestreitet Basilius, dass es Menschen möglich sei, das Wesen Gottes in einem Begriff zu fassen. Zwar gehöre es zum Wesen Gottes, nicht wie Geschöpfe «geworden» zu sein zu sein. Doch damit sei nicht die ousia Gottes schlechthin erfasst, also «was er ist», sondern lediglich «wie er ist», die Art und Weise seiner Existenz, der tropos tēs hypostaseōs (c. Eun. I, 15). Basilius unterscheidet also die ousia (Sein/Wesen) und die hypostasis (Existenzweise, Verwirklichungsweise). Wenn man heiligende Kraft und Heilsbedürftigkeit unterscheide, bestehe biblisch kein Zweifel, dass der Geist nicht heilsbedürftig, sondern heiligend sei. Gegen das Argument, die dreigliedrige Formel in 1 Tim 5, 21 («Ich beschwöre dich bei Gott, bei Christus Jesus und bei den auserwählten Engeln») zeige in Verbindung mit Hebr 1, 14 (Engel als «dienende Geister, pneumata»), dass der Heilige Geist nicht Gott, sondern der oberste der dienstbaren Geister sei, rechnet Basilius daher den Heiligen Geist zur «herrscherlichen», göttlichen Seite (ebd. III, 2).
Es gilt als Merkmal der neunizänischen, «kappadokischen Trinitätslehre» des Basilius, seines Freundes Gregor von Nazianz und seines Bruders Gregor von Nyssa, das eine göttliche Wesen (mia ousia) von Vater, Sohn und Geist in drei vollkommenen, unvermischten und ungetrennten Hypostasten (treis hypostaseis) zu lehren. Gregor von Nazianz wird dies Ende 380 so formulieren, das Nichtgezeugtsein bezeichne die Hypostase des Vaters, das Gezeugtsein die Hypostase des Sohnes und das Hervorgehen (vgl. Joh 15, 26) die Hypostase des Heiligen Geistes. Eins seien sie aufgrund der Gottheit. «Wie nun? Ist der Geist Gott? Gewiss! Wie nun, homoousios? Ja, denn er ist Gott!» (or. 31,9 f.). Soweit, so gut. In Lehrbüchern der Dogmatik ist dies nachzulesen. Doch nicht bei Basilius. In keinem authentischen seiner Werke wird der Heilige Geist direkt Gott genannt, allenfalls einmal «göttlich»; nie wird dem Geist das homoousios mit Vater und Sohn zugesprochen.4
Warum ist das so, obwohl Basilius keine prinzipiell andere Ansicht als Gregor von Nazianz hatte? Man kann zunächst daran erinnern, dass Basilius kirchenpolitisch an der Minderung der Spaltungen arbeitete, die das vierte Jahrhundert schon erzeugt hatte. Er wollte unnötige neue Konflikte vermeiden. Aber die Zurückhaltung des Basilius ist tiefer begründet. Als 376 der Ketzerjäger Epiphanius von ihm Schützenhilfe in einem trinitarischen Streit in Jerusalem erbittet, erteilt Basilius ihm eine Abfuhr: «Wir wissen, dass wir dann, wenn wir von der Einfachheit des Glaubens einmal abgehen, überhaupt kein Ende der Diskussion finden werden, da stets der Widerspruch uns weiter vorantreibt » (epist. 258,2; Üb. W.-D. Hauschild). Statt immer neue Bekenntnisformeln zu ersinnen, die in bischöflichen Überzeugungsblasen befürwortet oder bekämpft werden, versucht Basilius den fast verschütteten Kern christlicher Existenz wieder freizulegen. «Wir werden getauft auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes (Mt 28, 19). Deshalb wollen wir niemals die Verbindung mit dem Vater und dem Sohn trennen. Denn unser vom Heiligen Geist erleuchteter Verstand schaut zum Sohne auf und betrachtet in ihm wie in einem Bild den Vater. Wir ersinnen aber keine Namen aus uns selbst, sondern nennen ihn Heiligen Geist und Tröster und wollen ihm nicht die gebührende Ehre absprechen» (epist. 226,3).
IV
In seinem theologischen Hauptwerk «Über den Heiligen Geist» begründet Basilius, warum er gewagt hatte, im Gottesdienst Gott dem Vater die Doxologie auf zweierlei Weise darzubringen: mit dem gewohnten «durch den Sohn im Heiligen Geist» und mit der neuen, gegen die pneumatomachische Ablehnung einer gleichrangigen Gottheit des Geistes gerichteten, biblisch ebenso begründeten Doxologie «mit dem Sohn und mit dem Heiligen Geist» (spir. 3).5 «Wie ‹niemand den Vater kennt als der Sohn› (Mt 11, 27), so kann ‹niemand «Herr ist Jesus» sagen außer im Heiligen Geist›» (1 Kor 12, 3). Es heißt nicht ‹durch den Geist›, sondern ‹im Geist›» (spir. 47). Basilius erinnert daran, dass auch der «aufgrund der Natur, der Ehre und der Würde mit dem Vater vereinte Sohn» «mit ihm», dem Vater, «zusammen anzubeten (proskynein) und zu verherrlichen (doxazein)» ist (ebd. 15). Der Heilige Geist sei «in der Anbetung nicht vom Vater und vom Sohn zu trennen» (ebd. 64). Die in der Taufformel angedeutete gleiche Ehre und Würde des Geistes findet in der neuen Doxologie ihren liturgischen Ausdruck. Neue theologische Formeln erscheinen unnötig. Basilius macht die Bilder und Erfahrungszeugnisse der Bibel fruchtbar. «Vom Heiligen Geist nimmt man an, dass er zugleich in Habakuk wirkte und in Daniel zu Babylon, dass er mit Jeremia im Verlies war (Jer 20, 2) und mit Ezechiel am Kebarfluss (Ez 1, 3). ‹Denn der Geist des Herrn erfüllt den Erdkreis› (Weish 1, 7) […] Und der Prophet sagt: ‹Denn ich bin bei euch, spricht der Herr, und mein Geist weht in eurer Mitte› (Hag 2, 5). […] Der also von Natur aus göttlich ist, dessen Größe keine Grenze hat, der in seinem Wirken mächtig ist und in seinen Wohltaten gütig, den sollen wir nicht erheben, den sollen wir nicht verherrlichen? » (spir. 54). Basilius teilt zwar die Überzeugung diverser gemäßigter Theologen seit den 360er Jahren, dass das Nizänum als Grunddeutung verbindlich bleibe. Es solle nur die auf den Geist bezogene Doxologie ergänzt werden, da der Geist in Nizäa noch kein Thema war (epist. 258, 2). Doch alles, was darüber und über die Bibel hinausgeht, will Basilius vermeiden. Er ist überzeugt, dass damit Wissen vorgetäuscht wird, das nicht zu erlangen ist. Der Bibel entnimmt er, dass der Geist nicht wie der Sohn gezeugt ist, sondern aus Gott «als Hauch seines Mundes» hervorgeht; so werde die enge Verbindung offenbar gemacht, während die Weise seines Existierens (tropos tēs hyparxeōs) verhüllt bleibe (spir. 46). Basilius zitiert Joh 6, 63: «der Geist ist es, der lebendig macht» und fügt hinzu: «Wie können wir den Geist von der Macht, die Leben schafft, entfernen und ihn einer Natur zuweisen, die selber des Lebens bedarf?» (spir. 57).
Die Bibel ist die gemeinsame Grundlage aller Christen. Für die Wiedervereinigung der im theologischen Streit Entzweiten mit den am Nizänum Orientierten fordert Basilius das Minimum: «Wir wollen von den Brüdern, die sich uns anschließen wollen, nichts weiter verlangen als die Zustimmung zum Glauben von Nizäa und die Erklärung, dass der Heilige Geist kein Geschöpf sei. […] Denn ich bin überzeugt, dass bei längerem gemeinschaftlichen Zusammenleben und bei gemeinsamer Anstrengung, die frei ist von Rechthaberei, der Herr […] schenken wird, was etwa noch zu weiterer Klärung notwendig sein sollte» (epist. 113). Reinhard Hübner fasst zusammen: «Die volle Übereinstimmung in allen theologischen Fragen ist bei Basilius nicht Voraussetzung der Kirchengemeinschaft, sondern ihre Konsequenz. Die volle Übereinstimmung wird sich ergeben, wenn die bislang Getrennten miteinander leben und miteinander vorurteilslos und ohne Rechthaberei diskutieren.»6 Im geschützten Raum freien Denkens hält Basilius das weitere Nachsinnen über Gottes Wirklichkeit für sinnvoll. Doch das vorläufig Erwogene solle man nicht publik machen. «Siehst du, wie Gott erkannt wird? Dadurch, dass wir seine Gebote hören und tun, was wir hören. […] Es genügt dir zu wissen, dass der Hirte gut ist, dass er sein Leben für die Schafe gab. Das ist die Grenze der Erkenntnis Gottes. Wie groß aber Gott ist, und welches sein Maß, und welcher Art der ousia nach, solche Fragen sind gefährlich für den Fragenden und ausweglos für den, der gefragt wird. Schweigen ist dafür die Therapie» (hom. 23,4, Üb. R. M. Hübner). Diesen Schluss zog Basilius aus dem Desaster von Kirche und Theologie seines Jahrhunderts.
Natürlich war es widersprüchlich, das vergleichsweise explizit definierende Nizänum als verbindlich zu preisen, doch für die Zukunft auf biblische Formulierungen zu setzen (die sich für jede Ansicht finden lassen) und die Grenzen menschlicher Erkenntnis zu betonen. Das stieß auch auf Kritik. Gregor von Nazianz schrieb um 374 (epist. 58), dass ein Mönch dem Basilius Verrat am Glauben vorgeworfen hatte: In bezug auf Gott den Vater und den Sohn spreche Basilius nizänischen Klartext, über den Heiligen Geist aber ergehe er sich in wolkigen Andeutungen, während Gregor den Geist klipp und klar Gott nenne. Gregor hatte geantwortet, Basilius sei als Bischof einer Metropole exponiert, seine Gegner seien auf Äußerungen von ihm erpicht, mit denen sie ihn denunzieren konnten. Die Furcht war berechtigt, denn Kaiser Valens wünschte eine homöische Reichskirche. Dass Valens dennoch Basilius nicht als Bischof absetzte, liegt wohl daran, dass dieser keine anti-homöische Propaganda trieb.7 Gregor war verunsichert: Wann muss man deutlich werden und wann lieber die oikonomia, die situationsangepasste Flexibilität walten lassen?
V
Unter Kaiser Theodosius wendete sich das Blatt: Jetzt sollte die nizänische Theologie für das ganze Reich verbindlich werden. Der Kaiser ließ den homöischen Bischof der Hauptstadt Konstantinopel 380 durch Gregor von Nazianz ersetzen. Ein halbes Jahr später begann das von Theodosius einberufene Konzil von Konstantinopel 381. Kurz danach wurde Gregor Vorsitzender, trat aber nach wenigen Wochen im Streit zurück. Das Glaubensbekenntnis, das diesem Konzil siebzig Jahre später auf dem Konzil von Chalcedon 451 zugeschrieben wurde und bis heute den meisten Kirchen der Welt gemeinsam ist, bietet einen zunächst grob mit dem Bekenntnis von Nizäa übereinstimmenden Text, doch der fünf Worte kurze Passus über den Heiligen Geist vom Jahre 325 ist jetzt länger:
Wir glauben an den Heiligen Geist,
der Herr ist und lebendig macht,
der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht
der mit dem Vater und dem Sohn
angebetet und verherrlicht wird,
der gesprochen hat durch die Propheten.
Es folgen bekanntlich Worte über die Kirche, die Taufe und die Auferstehung. Dieses Bekenntnis verzichtet darauf, wie Gregor von Nazianz den Geist explizit Gott und homoousios zu nennen. Vielmehr folgt es der Linie des verstorbenen Basilius, der die durchweg biblischen Bestimmungen, die das neue Bekenntnis dem Geist zuspricht, in seinen Werken erwähnt. Der Kanon 1 der Entscheidungen der Synode von 381 betont, der Glaube von Nizäa solle nicht aufgehoben werden, sondern gültig bleiben; verschiedene Häresien werden verurteilt, darunter die pneumatomachische. Bald darauf klagte Gregor von Nazianz, der reine Quell des alten Trinitätsglaubens von Nizäa sei auf dem Konzil «armselig getrübt» worden «durch salzige Zuflüsse geistig schwankender Gestalten» (De vita sua 1703–8).
Nach der neuesten, von Wolfram Kinzig vorgelegten, eingehenden Analyse aller Texte und Sachverhalte, die zu dem Bekenntnis geführt haben,8 bedauert Gregor hier nicht etwa den Verzicht auf klarere Terminologie im pneumatologischen Passus. Vielmehr lehnten Kinzig zufolge Gregor und andere Konzilsväter den Bekenntnistext mit Erfolg ab, weil ihnen der Entwurf, der aus einem in Rom 377/378 erstellten, in Antiochien 379 revidierten und in Konstantinopel 381 erneut überarbeiteten Text entstanden sei, zu fern gegenüber dem Nizänum erschien. Die Ablehnung, die durchaus der Intention des Basilius entsprach, der nichts am Nizänum ändern wollte, würde auch erklären, warum das Bekenntnis siebzig Jahre lang nirgends zitiert wurde. Stattdessen sei 381 ein anderer, kürzerer Text gebilligt worden, der aber im Wesentlichen nur in Konstantinopel als Taufbekenntnis für einige Zeit in Gebrauch gekommen sei. In Chalkedon 451 sei dann in Sammlungen von Materialien des Konzils von Konstantinopel das 381 abgelehnte Bekenntnis entdeckt, als das beschlossene gedeutet, vorgelesen und gebilligt worden. So sei es zu seiner Bedeutung gelangt. Eigentlich ist der 381 durchgefallene Bekenntnisentwurf ein Mixtum: In den ersten beiden Abschnitten zu Gott dem Vater und dem Sohn behält er den technischeren Stil des nizänischen Bekenntnisses bei, im dritten Abschnitt über den Heiligen Geist wird er ganz biblisch, ohne Fachtermini. Doch gerade wegen der somit viel stärker biblischen Grundierung und den Schlußworten zu Kirche, Taufe und Auferstehung konnte das Bekenntnis schließlich erfolgreich und liturgietauglich werden.
Das von Basilius so gefürchtete theologische Streiten um Formeln freilich feierte in den neuen christologischen Konflikten der folgenden Jahrhunderte fröhliche Urständ. Selbst das (vermeintliche?) Bekenntnis von 381 wurde am Ende zum Zankapfel, als sich um das später von Lateinern eingefügte filioque ein unsäglich überflüssiger Streit zwischen Ostkirchen und Römisch-Katholischer Kirche entspann. Er folgte dem Muster kirchlicher Konflikte, das um 375 Basilius am Ende seines Werkes über den Heiligen Geist beschreibt: «Womit sollen wir also den gegenwärtigen Zustand vergleichen? Er gleicht wahrlich einer Seeschlacht, die sich Leute liefern, die auf Krieg zur See lüstern sind und aufgrund alter Querelen einen ungeheuren Groll gegeneinander hegen. […] Selbst wenn das Schiff schon in die Tiefe sinkt, gibt die Besatzung untereinander den Streit um den ersten Posten nicht auf» (spir. 76). Gleichwohl ermuntert Basilius am Schluss den Widmungsempfänger seiner Schrift, «ohne Streitsucht Fragen» zu stellen; der Herr werde die Erfüllung des noch Fehlenden schenken, gemäß der Erkenntnis, die der Geist denen gewähre, die seiner würdig sind (ebd. 78).
Anmerkungen
1 Schon Gregor von Nazianz nennt den toten Freund im biographischen Epitaph den «großen Basilius» (or. 43,1).
2 Zur Geschichte der «Kanonformel» vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 21997, 103–129.
3 Vgl. Franz Dünzl, Pneuma. Funktionen des theologischen Begriffs in frühchristlicher Literatur, Münster 2000.
4 Vgl. hierzu und zu den folgenden Ausführungen zu Basilius vor allem Reinhard M. Hübner, Kirche und Dogma im Werden. Aufsätze zur Geschichte und Theologie des frühen Christentums, hg. von Roland Kany, Tübingen 2017, 291–378; hier 361 f.
5 Alle Übersetzungen aus De spiritu sancto nach der zweisprachigen Fontes Christiani-Ausgabe von Hermann Josef Sieben, Freiburg u.a. 1993.
6 Hübner (wie Anm. 4), 356.
7 Vgl. Hanns-Christof Brennecke, Studien zur Geschichte der Homöer, Tübingen 1988, 226–231.
8 Wolfram Kinzig, Das Glaubensbekenntnis von Konstantiopel (381). Herkunft, Geltung und Rezeption, Berlin/Boston 2021. Inwieweit die zwangsläufig oft hypothetischen Vorschläge Kinzigs überzeugen, bedürfte genauer Analysen. Es gibt auch andere neue Thesen, und man kann auf die Debatte gespannt sein.
Abstract:
Splendours and Miseries of Fuzzy Pneumatology: Basil of Caesarea, the Controversy on the Holy Spirit and the Council of Constantinople. After the Council of Nicaea 325 the controversy on God the Father and God the Son went on for half a century. Dozens of creeds were formulated but none was accepted by all Christians. In 359 a new question arose: Is the Holy Spirit God or a creature? Basil of Caesarea is considered to be the leading bishop who gave pneumatology a Nicene frame. However, he never called the Spirit directly God or homousios with the Father and the Son. Basil was convinced that the Bible together with the Nicene creed should be considered as the sufficient base for theology. According to him new formulae beyond this creed would only lead to debates and pretend to describe what is in fact beyond human understanding. The lines on the Spirit in the so-called «creed of Constantinople 381» would have matched Basil’s intentions. According to recent research the creed was rejected by the council of 381 because it was considered more as a new creed rather than the Nicene creed with a brief addendum on the Spirit.
Keyword:
Basil of Caesarea – pneumatology – creed of Nicaea – creed of Constantiople 381 – conflict in Church