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Leseprobe 2 DOI: 10.14623/com.2023.1.66–75
Ulrich H.J. Körtner
«KOMM, O KOMM, DU GEIST DES LEBENS»
Zur Pneumatologie Karl Barths
1. Pneumatische Offenbarungstheologie

«Geistvergessenheit» lautete der Vorwurf, den Otto Dillschneider 1961 an die zeitgenössische evangelische Theologie richtete.1 Seither hat sich die Diskussionslage erfreulicherweise geändert, sind doch im Laufe der zurückliegenden Jahrzehnte einige beachtlich Entwürfe zur Pneumatologie erschienen, darunter die Monographien von Jürgen Moltmann2 und Michael Welker3 oder die Pneumatologie des fi nnischen lutherischen Theologen Veli- Matti Kärkkäinen4, der auch im pentekostalen Christentum beheimatet ist und sich selbst als «hybriden Christen» oder «luthercostal» Theologen bezeichnet.5 Heinz Zahrnt sprach zu Beginn der 1990er-Jahre von der «Wiederkehr des Heiligen Geistes»6 und meinte damit nicht nur das weltweit wachsende charismatische oder pentekostale Christentum, sondern auch die neue Beschäftigung mit dem Heiligen Geist in der akademischen Theologie.7

Von Geistvergessenheit kann bei Karl Barth, den man mit Fug und Recht als protestantischen Kirchenvater des 20. Jahrhunderts bezeichnen darf, keine Rede sein. In seinem theologischen Denken spielt die Pneumatologie, was lange Zeit nicht genügend beachtet wurde, von Beginn an eine tragende Rolle, wie Gabriele Obst in ihrer Dissertation nachgewiesen hat.8 In seiner 1962 gehaltenen Abschiedsvorlesung führt Barth aus, dass alle, «auch evangelische Theologie als bescheidene, freie, kritische, fröhliche Wissenschaft vom Gott des Evangeliums nur im Machtbereich des Geistes, nur als pneumatische Theologie möglich und wirklich werden kann: nur im Mut des Vertrauens, daß der Geist die Wahrheit ist, die Wahrheitsfrage zugleich aufwirft und beantwortet»9. Das Gegenteil wäre eine «[u]ngeistliche Theologie»10, der letztlich nur der Heilige Geist selbst helfen könne, «indem er sie der Erbärmlichkeit ihres eigenmächtigen Voraussetzens je und je gewahr und bewußt werden läßt, um dann da – und gerade nur da – neu gegenwärtig und wirksam zu werden, wo nach ihm geseufzt, geschrien, gebetet wird: Veni creator spiritus! ‹Komm, o komm, du Geist des Lebens!› Mehr und etwas Besseres als diese Bitte in Gestalt von rüstiger Arbeit kann auch die beste Theologie nicht sein.»11 Mit diesen Worten schließt sich der Kreis, den Barth 1922 mit einem Vortrag über die «Not und Verheißung der christlichen Verkündigung» eröffnet hat. Er wollte seine ganze damalige Theologie, die man bald als Dialektische Theologie bezeichnete und deren Fanal Barths Auslegung des Römerbriefes war (1. Aufl age 1919, 2. Auflage 1922), als seufzende Theologie verstanden wissen: «Seufzen: Veni creator spiritus! ist nun einmal nach Röm. 8 hoffnungsvoller als triumphieren, wie wenn man ihn schon hätte. Sie sind in ‹meine Theologie› eingeführt, wenn Sie diesen Seufzer gehört haben.»12

Pneumatische, um den Heiligen Geist bittende und seufzende Theologie kann alle Theologie nur sein, weil ihre Sätze voraussetzungslos sind, ohne Absicherung durch einen anthropologischen oder erkenntnistheoretischen Anknüpfungspunkt. Barths in der Selbstoffenbarung Gottes gründende Theologie des Wortes Gottes hält sich an einem «von außen gesehen sozusagen in der freien Luft befi ndlichen Ort»13 auf. Nur wenn die in ihren das Wort Gottes bezeugenden Sätzen verborgene Macht des göttlichen Geistes wirksam wird, kann es geschehen, dass die Theologie «ihren Begriff als menschliche Logik des göttlichen Logos»14 erfüllt. Als Wort Gottes bezeichnet Barth in seiner Abschiedsvorlesung die «in der Geschichte Jesu Christi zu ihrem Ziel kommende Immanuelsgeschichte».15 Gottes Wort ist gesprochen in seinem Werk, es ist «Heils- und Offenbarungsgeschichte»16, wobei sich die Bestimmung von Offenbarung als Geschichte nicht geschichtstheologisch zur Formel «Geschichte als Offenbarung» umprägen lässt. Geschichte ist bei Barth ein Prädikat der Offenbarung, nicht aber Offenbarung ein Prädikat der Weltgeschichte.17

In seiner Kirchlichen Dogmatik entfaltet Barth seine Offenbarungstheologie nach ihrer Grundlegung (§ 8) als Trinitätstheologie (§§ 9–12), Inkarnationstheologie (§§ 13–15) und Pneumatologie (§§ 16–18). Letztere bewegt sich über weite Strecken durchaus in traditionellen Bahnen.18 Unter der Überschrift «Die Ausgießung des Heiligen Geistes» interpretiert Barth den Heiligen Geist in § 16 zunächst als die «subjektive Wirklichkeit der Offenbarung»19, sodann als die «subjektive Möglichkeit der Offenbarung.20 Barths Ausgangsfrage lautet, wie es in der Freiheit des Menschen möglich ist, dass diesem Gottes Offenbarung widerfahren kann.21 Möglich ist dies, weil dem Menschen in Gottes Offenbarung «das Wort Gottes zu Gehör gebracht wird».22 Es kommt Barth allerdings entscheidend darauf an, die subjektive Wirklichkeit und Möglichkeit der Offenbarung vom neuzeitlichen Subjektivismus und von neuprotestantischen Subjektivitäts- und Religionstheorien abzugrenzen. Das geschieht einerseits, indem Barth die Offenbarung Gottes in seinem vieldiskutierten und hoch umstrittenen Paragraphen über die Religion (§ 17) als Aufhebung der Religion interpretiert. Andererseits argumentiert Barth, dass die subjektive Wirklichkeit und Möglichkeit der Offenbarung in ihrer objektiven Wirklichkeit gründet. Es «kann die subjektive Wirklichkeit der Offenbarung nicht als solche zu einem christlichen Thema werden. Sie ist eingeschlossen in deren objektive Wirklichkeit.» Das aber ist die Wirklichkeit der Kirche. Die Ekklesiologie ist somit Bestandteil der Pneumatologie Barths.23

Damit nicht genug, ist auch die Ethik, die Barth in seine Kirchliche Dogmatik integriert und trinitarisch entfaltet, nicht nur christologisch, sondern auch pneumatologisch fundiert, wie Barth bereits in § 18, der vom Leben der Kinder Gottes handelt, ausführt. Der die Offenbarung empfangende – das heißt der glaubende und erkennende – Mensch, ist eben nicht nur Hörer, sondern auch Täter des Wortes (vgl. Jak 1, 22).24 Indem die Dogmatik «das Problem des christlichen Menschen schon in ihren grundlegenden Überlegungen anerkennt und behandelt als ihr eigenes Problem, nimmt sie die Ethik in sich auf, macht sie also eine besondere theologische Ethik überfl üssig, weil sie sie selber, ohne aufzuhören, Dogmatik, Besinnung auf Gottes Wort zu sein, auch Ethik ist».25 Die Integration der Ethik in die Dogmatik, die zu den Besonderheiten der Barthschen Theologie zählt, hat ihren Ort und ihre Begründung also in der Pneumatologie.

2. Die Pneumatologie im Rahmen der Trinitätslehre

Überaus wirkmächtig ist Barths offenbarungstheologische Neuformulierung der Trinitätslehre. Man kann auch sagen, dass Barth die Trinitätslehre als Offenbarungslehre, genauer gesagt als Lehre der Selbstoffenbarung Gottes als alleinigem Erkenntnisgrund aller Theologie, entfaltet hat. Im Rahmen seiner Trinitätslehre richtet Barth besonderes Augenmerk auf das Verhältnis von Pneumatologie und Christologie, ist doch der Heilige Geist «darum der Geist Gottes, weil er der Geist des Wortes ist».26




Anmerkungen
1 Vgl. Otto Dilschneider, Die Geistvergessenheit der Theologie, in: ThLZ 86 (1961) 255–266.
2 Jürgen Moltmann, Der Geist des Lebens. Eine ganzheitliche Pneumatologie, München 1991, unveränderte Sonderausgabe Gütersloh 2016.
3 Michael Welker, Gottes Geist. Theologie des Heiligen Geistes, Neukirchen-Vluyn 1992, Göttingen 72022.
4 Veli-Matti Kärkkäinen, Pneumatology. The Holy Spirit in Ecumenical, International, and Contextual Perspective, Grand Rapids, MI 22018.
5 Im Interview mit Victor J. Toth: https://www.christianitytoday.com/ct/2019/february-webonly/veli-matti-krkkinen-interview-theology-of-everything.html, 6.2.2019 (letzter Zugriff: 21.10.2022).
6 Vgl. Heinz Zahrnt, Geistes Gegenwart. Die Wiederkehr des Heiligen Geistes, München 1991.
7 Vgl. auch Ulrich H.J. Körtner, Die Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Zur Lehre vom Heiligen Geist und der Kirche, Neukirchen-Vluyn 1999.
8 Vgl. Gabriele Obst, Veni Creator Spiritus! Die Bitte um den Heiligen Geist als Einführung in die Theologie Karl Barths, Gütersloh 1998.
9 Karl Barth, Einführung in die evangelische Theologie, Gütersloh 31980, 48.
10 Ebd.
11 Barth, Einführung (s. Anm. 9), 50. «Komm, o komm, du Geist des Lebens» ist der Eröffnungsvers eines Pfingstliedes von Heinrich Held (1620–1659), 1658, der der Schlesischen Dichterschule zugerechnet wird (in: Evangelisches Gesangbuch Nr. 134).
12 Karl Barth, Not und Verheißung der christlichen Verkündigung, in: Ders., Das Wort Gottes und die Theologie. Gesammelte Vorträge, München 1924, 99–124, hier 123 (wieder abgedruckt in: Ders., Vorträge und kleinere Arbeiten 1922–1925, hg. v. Holger Finze-Michaelsen [Karl Barth Gesamtausgabe, Bd.
19/Abt. III], Zürich 1990, 65–97).
13 Barth, Einführung (s. Anm. 9), 43.
14 Barth, Einführung (s. Anm. 9), 44.
15 Barth, Einführung (s. Anm. 9), 43.
16 Barth, Einführung (s. Anm. 9), 45.
17 Vgl. Karl Barth, KD I/2, Zollikon-Zürich 41948, 64.
18 Vgl. Martin Hailer, Offenbarung, in: Michael Beintker (Hg.), Barth Handbuch, Tübingen 2016, 295–301, hier 299.
19 Barth, KD I/2, 222–264.
20 Barth, KD I/2 (s. Anm. 17), 264–304.
21 Barth, KD I/2 (s. Anm. 17), 265.
22 Barth, KD I/2 (s. Anm. 17), 269 (im Original gesperrt).
23 Vgl. Hans-Peter Grosshans, Kirche, in: Beintker, Barth Handbuch (s. Anm. 18), 367–373, hier 371f.
24 Vgl. Barth, KD I/2 (s. Anm. 17), 397–408.
25 Barth, KD I/2 (s. Anm. 17), 408.
26 Barth, KD I/2 (s. Anm. 19), 271. Die folgenden Passagen sind entnommen aus: Körtner, Gemeinschaft (s. Anm. 7), 52–54. [...]


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