archivierte Ausgabe 1/2023 |
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Herausgeber und Redaktion |
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JOACHIM HAKE Direktor der Katholische Akademie in Berlin e.V. |
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URSULA SCHUMACHER
Professorin für Dogmatik an der Universität Luzern |
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JAN-HEINER TÜCK Professor für dog-
matische Theologie, Universität Wien |
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Herausgeber und Redaktionsbeirat stellen sich vor. |
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Lesermeinung von |
Anton Svoboda,
Dipl.-Theologe, Musiker
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Leseprobe 3 |
DOI: 10.14623/com.2023.1.89–103 |
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Berthold Wald |
KATHOLISCHE WEGBEREITER DES NATIONALSOZIALISMUS? |
Kritische Anmerkungen zu einem gleichnamigen Buch von Kurt Flasch |
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«Ein Winkel des deutschen Geisteslebens [harrt noch] der genaueren Betrachtung: prominente Katholiken warben im katholischen Münster 1933 […] für den Nationalsozialismus.» So beginnt das Vorwort des Bochumer Mediävisten Kurt Flasch.1 Er verspricht seinen Lesern «einen wohldokumentierten Essay, kein Handbuch», also mit vorsorglichem Haftungsausschluss für alles, was man nicht erfährt. Flaschs Thema ist die «Denkwelt nur der Jahre 1933 und 1934» einer Gruppe katholischer Intellektueller. Von den Zeitgenossen wurden sie «Brückenbauer» genannt. Flasch geht da weiter. Für ihn sind Michael Schmaus, Joseph Lortz und Josef Pieper gar «katholische Wegbereiter des Nationalsozialismus». Sie interessieren ihn «ideengeschichtlich […] und nicht moralisch.» (15) Er will Licht ins Dunkel bringen und ist dafür «jahrzehntelang […] in Antiquariaten auf dem Boden herumgekrochen, um Bücherberge durchzuarbeiten». (11) So viel Aufwand wird den halbwegs informierten Leser wundern, weiß Flasch doch selbst, dass er nicht der erste ist, der sich mit den (nur von ihm so betitelten) «Wegbereitern» befasst. Über den zeitgeschichtlichen Kontext und speziell über Schmaus und Lortz sind wir gut informiert, etwa durch das materialreiche Buch (700 Seiten!) von Heinz Hürten, Deutsche Katholiken 1918–1945, mit einem Kapitel zum «Brückenbau»?2 Der «junge Soziologe Josef Pieper» kommt darin nur am Rande vor. Allerdings gibt es über dessen publizistische Tätigkeit und sein Verhältnis zum Nationalsozialismus in den Jahren 1933 und 1934 auch nichts zu entdecken: Ein Schriftenverzeichnis von 1974 / 19893 informiert präzise über alle Publikationen, auch über Publikationsverbote aus dieser Zeit. Piepers Autobiographie von 19784 berichtet über Inhalt und Absicht der von Flasch inkriminierten Schriften, und diese wiederum sind nicht erst auf Dachböden zu entdecken, sondern seit 2004 im ersten Ergänzungsband Frühe soziologische Schriften5 der Josef Pieper Werkeausgabe ediert.6 Flasch greift denn auch auf die Soziologischen Schriften zurück, unter Ausblendung unliebsamer Zusammenhänge und der im Nachwort genannten Quellen.7 Nicht das Material ist neu, sondern dessen selektive Darstellung und Deutung durch Kurt Flasch. Im Folgenden werde ich Teil I («Michael Schmaus – Begegnungen») und Teil II («Joseph Lortz – Katholischer Zugang») in Flaschs Essay übergehen. Ich beschränke ich mich auf den III. Teil «Josef Pieper – Neues Arbeitsrecht» sowie den allgemeinen Deutungsrahmen zu Beginn (Vorwort und Einleitung) und die «Reflexion» am Ende des Buches. Es sollen drei Hauptpunkte näher behandelt werden: 1. Piepers Mitwirkung an Reich und Kirche; 2. Was Flasch wissen konnte und verschweigt; 3. Die Frage historischer Schuld – persönlich und ideengeschichtlich.
1. Piepers Mitwirkung an Reich und Kirche
Schon die Wahl des Titels Katholische Wegbereiter des Nationalsozialismus lässt fragen, was Flasch eigentlich meint. Es klingt so, als hätte die katholische «Gruppe um Reich und Kirche» (11) Einfluss genommen auf die politische Entwicklung im Deutschen Reich bis zur Wahl am 5. März 1933. Das anzunehmen ist schon darum falsch, weil es eine solche «Gruppe» 1933 nicht gab. Zudem wäre es lächerlich zu meinen, eine Handvoll bis dato unbekannter Katholiken hätte dem Nationalsozialismus den Weg bereiten können. «Prominent» wurden diese Männer erst nach 1945. Bei genauerem Hinsehen ist denn auch etwas anderes gemeint, weniger spektakulär und kaum von allgemeinem Interesse. Behauptet wird eine katholische Wegbereitung des Nationalsozialismus innerhalb des Katholizismus. Wer dazu stichhaltige Belege erwartet, wird allerdings enttäuscht. Das zu diesem Zweck im Anhang (176f.) mitgeteilte «Soziogramm: Münster i. W. 1933» mit den Wahlergebnissen von 1932/1933, den Partei- und Gruppenzugehörigkeiten in Münster Stadt und Münster Land gibt für den Einfluss der «Gruppe» nichts her. Flasch selber muss das einräumen, wenn er zum Wahlausgang des 5. März 1933 in Münster feststellt: «Die Entscheidung für das Zentrum war außerordentlich stabil». (13)
Flasch spricht von den «Wegbereitern» als «Gruppe» und behauptet, dass ihre Beiträge in Reich und Kirche einer verabredeten gemeinsamen Intention gefolgt sind: «Die drei taten sich 1933/1934 zusammen». (18) «Sie haben gemeinsam das Programm von Reich und Kirche realisiert. Ihr Votum war eine hochbewusste politische Aktion.» (16) Sein «wohldokumentierter Essay» liefert jedoch keinen einzigen Beleg für diese Behauptung. Stattdessen nutzt Flasch geschickt die Mehrdeutigkeit des Terminus «gemeinsam». Was die Mitwirkenden an Reich und Kirche einzeln getan haben, wird als gemeinsames Tun benannt. Die Intention der jeweils Einzelnen wird so als Intention der «Gruppe» ausgegeben und umgekehrt. Wiederum ohne jeden Beleg behauptet Flasch: «sie begründeten […] eine eigene Schriftenreihe mit dem Titel Reich und Kirche ». (Vorwort) Dabei teilt er selber mit, dass laut Auskunft des Verlags Aschendorff vom 20.6.2020 «keine Unterlagen» zu dieser Schriftenreihe existieren. (Vorwort) Die Brief-Nachlässe der drei «Wegbereiter» hätten eine aufschlussreiche Quelle sein können, auf die Flasch jedoch nicht rekurriert. Was Pieper angeht, finden sich darin keinerlei Hinweise auf Kontakte untereinander, ganz einfach deshalb, weil es die nicht gab. Die einzige Quelle zu Reich und Kirche, die Flasch anführt, ist der Briefwechsel zwischen Josef Pieper und dem Verlag Aschendorff (136).8 Der jedoch bezieht sich ausschließlich auf das Erscheinen von Piepers Broschüre (14. März 1934 und 08. April 1934) und dessen zweimal geäußerten Willen (am 21. Juli 1934 und am 22. September 1934), die Auslieferung zu beenden – entgegen dem Wunsch des Verlags! Die Gründung der Schriftenreihe durch die «Gruppe» wie auch die Stilisierung einer «Gruppe» «als politische[r] Initiative zugunsten der NSDAP» (13) sind frei erfunden. Der Zweck dieser Konstruktion liegt auf der Hand: Es soll der Anschein entstehen, dass Pieper in seiner Broschüre vom Frühjahr 1934 zum Verhältnis von Quadra gesimo Anno (1931) und NS-Arbeitsrecht (1933) die viel weitergehenden Ansichten von Michael Schmaus (Begegnungen zwischen katholischem Christentum und nationalsozialistischer Weltanschauung, 1933) und Joseph Lortz (Katholischer Zugang zum Nationalsozialismus, 1933) geteilt hat. Das war, wie wir noch sehen werden, ausdrücklich nicht der Fall.
Die berechtigte Frage, «was wollte Pieper in dieser Situation ‹politisch› bewirken » (126), wird bereits vorentschieden durch den Kontext wertender Behauptungen. Da heißt es bei Flasch vorab: Als einer der «drei pronazistischen Autoren» stellte Pieper schon in anderen Schriften «die ethisch richtige Absicht des Nationalsozialismus klar». (121) Unter dem Einfluss des Münsteraner Soziologen Johann Plenge, der sich selbst, wie Flasch zu wissen meint, als «Ur- Nazi» (122) verstand, sei Pieper bereits auf dem Weg dorthin gewesen, bevor er sich dann selbst «für den Nationalsozialismus entschied», (123 ) um schließlich offen «für Hitler» einzutreten: «Seine stärksten Texte für Hitler druckte er vom Januar bis April 1934». (121) Auch hier sollte man genau hinhören. Denn Flasch behauptet ja nicht bloß, Pieper sei «für Hitler» gewesen. Seine Formulierung legt nahe, es habe noch weitere, wenn auch weniger starke Texte «für Hitler» gegeben. Beides ist nicht der Fall und nicht zu belegen.
Anmerkungen 1 Kurt Flasch, Katholische Wegbereiter des Nationalsozialismus. Michael Schmaus, Joseph Lortz, Josef Pieper, Frankfurt/M. 2021, zitiert als (Seite). 2 Heinz Hürten, Deutsche Katholiken 1918–1945, Paderborn 1992, 214–230, mit Verweis auf Josef Pieper 217. 3 Josef Pieper, Schriftenverzeichnis 1929–1974 / 1989 (hg.v. Paul Breitholz – Markus van der Giet), München 1974 / 1989. 4 Josef Pieper, Noch wußte es niemand, München 1978, 100–113; Wiederabdruck in Josef Pieper, Autobiographische Schriften (hg.v. Berthold Wald), Hamburg 2003, 101–113. 5 Josef Pieper, Frühe soziologische Schriften (hg.v. Berthold Wald), Hamburg 2004. 6 Josef Pieper, Werke in acht Bänden, zwei Ergänzungsbände (hg.v. Berthold Wald), Hamburg 1995–2008. 7 Flasch benutzt den Text: Josef Pieper, Das Arbeitsrecht des Neuen Reiches und die Enzyklika Quardragesimo anno; in: Pieper, Frühe soziologische Schriften (s. Anm. 5), 336–362. 8 Deutsches Literaturarchiv Marbach a. Neckar: Nachlass Handschriftensammlung [A: Pieper, Josef]; Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung <Münster, Westfalen> [Adressat] 1933–1935. [...]
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