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Leseprobe 2 DOI: 10.14623/com.2023.4.398–405
Klaus Vechtel
EINE ANDERE AUTONOMIE
Berufung zwischen Fremd- und Selbstbestimmung
1. Berufung – ein problematischer Begriff

Der Begriff der Berufung gehört traditionell zum festen Bestandteil christlicher Lebenspraxis. Er deutet die Einsicht an, dass Lebensformen und Aufgaben aus der Perspektive des christlichen Glaubens über funktionale Eignung und professionelle Ausbildung hinaus einen tieferen und die ganze Existenz fordernden Sinn haben können. Aktuell ist dieser Begriff in kirchlichen und theologischen Kreisen jedoch weitreichenden Anfragen ausgesetzt:

(1) So wird das Verständnis von Berufung bis in die Gegenwart hinein elitär konnotiert und auf einen «Stand der Vollkommenheit» sowie auf männliche Amtsträger in der Kirche eingeschränkt. Ist Berufung im christlichen Sinne eine exklusive Kategorie, die feudale Standesstrukturen und kirchlich-männerbündische Machtansprüche perpetuiert?
(2) Zudem ist der Berufungsbegriff Anfragen ausgesetzt, die das neuzeitliche Verständnis von Freiheit und Autonomie betreffen. Werden mit dem Berufungsgedanken heteronome Maßstäbe von gelungenem Leben an Menschen herangetragen und als normativ erklärt, die dem Freiheitsvollzug von Menschen widersprechen? Läuft Berufung also auf eine Entmündigung im Namen Gottes (bzw. im Namen der Kirche) hinaus? Begünstigt oder befördert ein solches Berufungsverständnis missbräuchliche Strukturen und Beziehungen?

Angesichts dieser Problemkonstellationen ist es durchaus nachvollziehbar, die Vorstellung von Berufung einer radikalen Rekonstruktion zu unterwerfen, wie es in letzter Zeit geschehen ist: Berufung wäre dann nicht mehr ein von außen durch eine göttliche Willenskundgebung ergehendes Geschehen, das dem Leben eine bestimmte Richtung vorgibt, sondern eine frei wählbare individuelle Sinngebung, die einen religiösen Charakter hat. Missbräuchlich, so die Kritik am traditionellen Berufungsverständnis, wäre insbesondere das Unternehmen, dieser möglichen, aber nicht notwendigen religiösen Sinngebung eine göttliche Legitimation zu verleihen. Missbräuchlich (oder zumindest missbrauchsanfällig), gerade weil sich solche göttlichen Legitimierungsversuche der kritischen Überprüfung entziehen.

Kritisch gesehen wird in dieser Revision des Berufungsverständnisses vor allen Dingen die klassische theologische Vorstellung, wonach die wahre Freiheit des Menschen mit seiner Nähe zu Gott korrespondiert. In dieser Konzeption wird eine Berufung von Gott als die wahre Eröffnung menschlicher Freiheit verstanden. «Je näher man Gott kommt, umso mehr versteht man und realisiert man, was heißt ein wahrer Mensch zu sein». «Erst in der Entsprechung (im Gehorsam) zu Gott und seinem Ruf können wir wahrhaft menschlich sein». So fromm und richtig solche Sätze anmuten, so entzündet sich an ihnen doch das Unbehagen, das die Kritik am Berufungsverständnis motiviert.

Ich möchte im Folgenden einige Gedanken vorbringen, die (hoffentlich) die Bedenken am Berufungsverständnis aufnehmen, zugleich aber auch aus dem Unbehagen vor einer rein autonom verstandenen Freiheit entspringen, die das Verständnis einer Offenbarung Gottes im Allgemeinen bzw. eines besonderen Rufes Gottes an den einzelnen Menschen allein als Deutungskategorie versteht, die einer subjektiv-freien religiösen Sinngebung entspricht. Gibt es die Möglichkeit einer anderen Autonomie, jenseits von reiner Fremdbestimmung durch Gott oder einer reinen Selbstbestimmung der autonomen Freiheit?

Das Berufungsverständnis ist dabei vor einer klerikalistischen Engführung zu schützen. Berufung sei zunächst in einem weiten Sinne als die göttliche Idee zu einem gelingenden Leben verstanden, die an die je persönliche Geschichte, die persönliche Sehnsucht und die persönlichen Prägungen anknüpft und diese entfaltet.

2. Die Perspektive der ignatianischen Exerzitien


Die ignatianischen Exerzitien umfassen einen vierwöchigen Gebets- und Übungsweg, der maßgeblich am Leben Jesu orientiert ist. Dabei rechnen sie mit der Möglichkeit, dass Gott dem einzelnen Menschen einen ihm persönlich geltenden Willen kundtut im Sinne einer ihn erfüllenden, einmalig-persönlichen Berufung. Und: Die ignatianischen Exerzitien möchten den Rahmen bereitstellen für eine möglicherweise zu vollziehende Entscheidung des Menschen, für eine «Wahl». Sie dienen dem «Finden» und der Entscheidung für eine Berufung, die den gesamten Lebensentwurf des Menschen betrifft und die sich Ignatius in seinem zeitlichen Kontext als Wahl zu einem christlichen Stand vorstellte («Rätestand» oder «Stand der Gebote»).

In den Exerzitien ist der einzelne Mensch als Übender selbst tätig: Er bereitet sich, er stellt sich ein, sucht nach der eigenen Berufung: Der Mensch gebraucht seine Seelenkräfte4, er setzt «Akte des Verstandes» (GÜ Nr. 3) und «des Willens» (ebd.), er braucht, um die persönliche Berufung zu erkennen, gegebenenfalls auch frei und ruhig seine Verstandeskräfte und er tut alles, um sein eigenes Leben zu ordnen. Man hat Ignatius und den Exerzitien mit dieser Betonung des menschlichen Handelns und der menschlichen Kräfte einen einseitigen Aktivismus und einen «Semipelagianismus» vorgeworfen, der eben das göttliche Handeln und die göttliche Gnade zu wenig berücksichtigt. In herausragender Weise ist der Mensch in der «Wahl», in der Entscheidung für einen bestimmten Lebensentwurf handelnd tätig. Er trifft in Freiheit eine Entscheidung über das, was in seiner Lebenssituation zu tun ist.

Wie wird Gott in den Exerzitien wirksam? Zum einen gilt klar das klassische Modell, dass Gott Ursprung und das Ziel ist, auf das der Mensch ausgerichtet ist. Das ist jedoch nicht alles und vielleicht ist es auch nicht das Entscheidende. Zugleich gilt für Ignatius: Gott wird nicht als äußerer, als heteronomer Maßstab menschlichen Lebens und der Berufung wirksam. Gott ist tätig für die Exerzitien, «indem er Sein gibt, erhält, belebt, und wahrnehmen macht» (GÜ Nr. 236). Gott freies Handeln wird wirksam im freien Handeln des Menschen. Indem der Menschen all seine Kräfte einsetzt, um nach seinem persönlichen Lebensweg zu suchen, ist Gott wirksam als Ermöglicher menschlicher Freiheit. Im höchsten Maße geschieht das im Geschehen der Wahl. In der Entscheidung des Menschen kann für Ignatius Gottes Wille wirksam werden – nicht gegen den Menschen und nicht ihm gegenüber, sondern indem der Mensch eine Entscheidung trifft. Gott nähert sich dem Menschen als sein Ziel, indem der Mensch einen Weg geht. [...]


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