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Herausgeber und Redaktion |
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JOACHIM HAKE Direktor der Katholische Akademie in Berlin e.V. |
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URSULA SCHUMACHER
Professorin für Dogmatik an der Universität Luzern |
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JAN-HEINER TÜCK Professor für dog-
matische Theologie, Universität Wien |
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Herausgeber und Redaktionsbeirat stellen sich vor. |
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Lesermeinung von |
Anton Svoboda,
Dipl.-Theologe, Musiker
Lesen Sie hier |
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Leseprobe 2 |
DOI: 10.14623/com.2023.5.496–507 |
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Jan-Heiner Tück |
LETHE UND EUNOË |
Vergessen und Erinnern an der Schwelle zum Paradiso in Dantes Divina Commedia |
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Im tiefsten Erinnern die Furcht, das Verlorene endgültig zu verlieren. Botho Strauß
I
Der Tod ist ein Komplize des Vergessens. Er droht die Namen der Verstorbenen dem Gedächtnis der Lebenden zu entreißen. Neben dem privaten Totengedenken gibt es die öffentliche Begräbniskultur, die sich mit Stelen und Monumenten dem Verblassen der memoria widersetzt. Auch hilft die Schrift, die Vergangenes festhalten und Abwesendes anwesend machen kann. Listen memorieren die Namen der Verstorbenen, literarische Zeugnisse können etwas vom Leben und Wirken der Toten gegenwärtig halten. Die Göttliche Komödie von Dante Alighieri (1265-1321) ist nach einem treffenden Wort von Harald Weinrich eine «unvergängliche Kathedrale der Erinnerung», ein Höhepunkt europäischer Gedächtniskultur, ein Werk, in dem griechische Mythen, lateinische Dichtung, christliche Theologie und politische Geschichte des Mittelalters, insbesondere der Kampf zwischen Imperium und Sacerdotium, zusammengeführt werden. Menschen aus Geschichte und Gegenwart, aber auch mythische Gestalten finden im Horizont des göttlichen Gedächtnisses einen Erinnerungsort im Inferno, im Purgatorio oder im Paradiso. Der Infamie des Exils – Dante wurde aus seiner Heimatstadt Florenz verbannt, ja in Abwesenheit zum Tode verurteilt – hat der Dichter in einem Akt der dichterischen Selbstbehauptung die Fama seines Werkes entgegengesetzt. Vor allem aber hat er seiner frühverstorbenen Geliebten, Beatrice, ein unvergessliches literarisches Denkmal gestiftet. Auf ihr Geheiß hin riskiert er die kühne Wanderung, ja die glühende Sehnsucht nach Wiederbegegnung mit ihrem lächelnden Gesicht – santo riso (Purg. XXXII, 5) – spornt ihn an, die Strapazen der Jenseitswanderung bis zum Ende durchzuhalten.
II
Am Anfang steht eine lebensgeschichtliche Krise. In der Mitte seiner Jahre gerät Dante in einen dunklen Wald (Inf. I, 2: selva oscura). Er will hinauf auf einen lichten Berg, aber der Weg hinauf wird ihm von drei bedrohlichen Tieren – einem Panther, einem Löwen und einer Wölfin (vgl. Jer 5, 6) – verstellt. Das ist ein Gleichnis. In seiner Resignation und Weltverlorenheit gelingt es Dante nicht, die ersehnte Sinnerfüllung seines Lebens zu erreichen, dunkle Mächte halten ihn davon ab. Erst die Hinwendung zu einem Anderen, dessen Blick er auf sich ruhen spürt, bringt Hilfe. Der lebensgefährlichen Situation entrinnt er durch Vergil, den verehrten Verfasser der Aeneis, der ihm einen Ausweg aus der Ausweglosigkeit bahnt und ihn auf seiner visionären Reise durch das Jenseits bis auf die Höhe des Läuterungsberges begleitet. Der Begleiter aus der anderen Welt aber wird Dante auf Geheiß Beatrices gesandt. Aber auch Beatrice war auf Dantes krisenhafte Lage durch dessen himmlische Schutzpatronin, die hl. Lucia, hingewiesen worden, diese wiederum auf Geheiß Mariens. Man sieht hier, dass das irdische Leben Dantes nicht isoliert oder vergessen, sondern hineinverwoben ist in eine Gemeinschaft von Personen, die an ihn denken und sich um ihn sorgen. Das Geflecht des Gedenkens und der Anteilnahme reicht bis in die himmlische Welt. In sprachlicher Verdichtung und eindrücklichen Erinnerungsbildern hält Dante fest, was er während seines altro viaggio durch die Geographie des Jenseits erlebt. Gewiss kann die Divina Commedia an antike Vorbilder anknüpfen. Schon in der Odyssee Homers und der Aeneis Vergils gibt es Reisen in die Unterwelt, auch im Buch Henoch oder der Petrus-Apokalypse werden Entrückungen in den Himmel beschrieben. Aber Dantes Topographie der drei Jenseits-Orte hat doch eine ganz eigene, nämlich christliche Prägung. Hier geht es nicht um die Entwirklichung im Schattenreich des Todes, sondern um Vorentwürfe der eschatologischen Auferstehungsleiber, die in den Seelen der Verstorbenen bereits angelegt sind. Die Taten, die sie begangen, und die Unterlassungen, die sie zu verantworten haben, spielen bei der eschatologischen Verortung die entscheidende Rolle.
III
Zunächst durchschreitet der Wanderer das breite Höllentor und steigt einen Trichter hinab, der – wie ein «Amphitheater» (Goethe) – über nun immer enger werdende Kreise abwärts bis an den tiefsten Punkt der Erde führt. Dort steckt der gefallene Engel Luzifer im Eis. Als Anti-Trinität gestaltet, hat Luzifer drei Fratzen, deren Mäuler die Verräter Brutus, Cassius und Judas Iskariot zermalmen. Dante gerät dann durch einen schmalen Höhlengang hinauf auf die südliche Hemisphäre. Dort ragt im Weltmeer ein Berg auf, den er mit Hilfe seines Begleiters Terrasse um Terrasse bis an die Schwelle des irdischen Paradieses besteigt. Schließlich durchquert er unter Anleitung von Beatrice die himmlischen Sphären, bis er in die absolute Transzendenz des Empyreums entrückt wird, wo der heilige Bernhard von Clairvaux, der Lehrer der Kontemplation, an seine Seite tritt. Er darf im Himmel schauen, was noch kein Sterblicher erblickt hat, aber sein Erinnerungs- und Sprachvermögen kommt hier an Grenzen. Die Fülle an Begegnungen, die Dante auf seiner visionären Jenseitsreise mit mythischen, historischen und literarischen Gestalten hat, werden in der Divina Commedia in 3 x 33 Gesängen, denen ein Proömium vorgeschaltet ist, memoriert und in 14 233 kunstvoll gestalteten Versen in Terzinenform poetisch verdichtet.
Der Leser soll den Gang allerdings nicht nur informativ zur Kenntnis nehmen, sondern durch die Lektüre auch performativ verändert werden. Mit den Worten Romano Guardinis: «Die Göttliche Komödie will nicht nur ein objektives Werk sein, das man schaut und würdigt, sondern die Vorzeichnung eines Tuns, das vollbracht werden soll. […] Der Leser, den Dante will, ist nicht der ästhetisch oder historisch interessierte, sondern jener, der die Forderung vernimmt und dann handelt.» Du sollst dein Leben ändern!
IV
In der Architektur von Dantes Divina Commedia sind die Übergänge bemerkenswert. Das Tor zur Hölle, das in seiner Inschrift Schmerz, ewiges Leid und Hoffnungslosigkeit ankündigt (vgl. Inf. III, 1-9), ist breit. Die Pforte zum Fegfeuer hingegen ist schmal (Purg. IX, 75f.), ihr ist ein Ort des Wartens vorgelagert, das Vorpurgatorio, ein Gestade, an dem sich die Seelen mit einer gewissen Unruhe aufhalten, bis sie zum Berg der Läuterung zugelassen werden. Das Purgatorio selbst hat einen Türhüter und ist über drei Stufen zu erreichen (Purg. IX, 72-138). Diese Stufen lassen sich allegorisch auf den Prozess des Bußaktes beziehen. Die erste Stufe ist aus weißem Marmor und wirkt wie ein Spiegel, der den Verlust der Unschuld anzeigt und die Zerknirschung des Herzens (contritio cordis) bewirkt, die zweite Stufe ist aus rissigem dunkelrotem Stein und könnte die Scham symbolisieren, die mit dem Akt des mündlichen Bekennens (confessio oris) verbunden ist. Die dritte Stufe ist aus Porphyr und flammend hell, sie versinnbildlicht die Caritas, die auf praktische Wiedergutmachung (satisfactio operis) drängt. [...]
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